Heer an der Grenze: Aus zehn Wochen wurden 21 Jahre

(c) APA/HBF (HBF)
  • Drucken

Am 15. Dezember endet der Assistenzeinsatz des Bundesheers an der burgenländischen Grenze. Nach 21 Jahren geht damit ein Kapitel österreichischer Militärgeschichte zu Ende. Ein Lokalaugenschein.

Eisenstadt. Auf ihrem Rücken baumeln Sturmgewehre, um den Hals hängt ein Fernrohr, das Funkgerät ist aktiviert. Der größte Feind sind aber die Hundstrümmerln. Die beiden Grundwehrdiener umschiffen die klebrigen Gefahrenquellen für die grobstolligen Gefechtsstiefel aber mit routinierter Gelassenheit. Aufregungen aller Art scheinen in dem verschlafenen Idyll der nordburgenländischen 2600-Einwohner-Gemeinde Bruckneudorf (Bezirk Neusiedl) keinen Platz zu haben. Die Gassen zwischen den Einfamilienhäusern sind menschenleer. Nur die beiden Soldaten spazieren durch die Wohnsiedlungszeilen. „Um gegebenenfalls verdächtige Beobachtungen der Polizei zu melden“, lautet der Einsatzbefehl. So wurden in den letzten Wochen zwanzig „sicherheitsrelevante Vorkommnisse“ im 1773 Quadratkilometer weiten Zuständigkeitsbereich der 2. Assistenzkompanie registriert. Das klingt dramatischer, als es ist: Zuletzt meldete man pflichtbewusst, dass die Tür eines Kindergartens unversperrt geblieben war. „Es hat aber niemand ,was reingetragen‘“, scherzt ein Soldat. Die Stimmung ist gelöst. Neue Lage: fünf Tage.

Am 15. Dezember endet nicht nur für die Mannen des Osttiroler Jägerbataillons 24 ihr Dienst im Burgenland, sondern der gesamte Assistenzeinsatz des Bundesheeres an der burgenländisch-niederösterreichischen Grenze zu Ungarn und der Slowakei. Nach 21 Jahren geht damit ein Kapitel österreichischer Militärgeschichte zu Ende. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat die Bundesregierung am 4. September 1990 den Assistenzeinsatz beschlossen. Für ursprünglich zehn Wochen. Einen Tag später rückten die ersten Soldaten Richtung Burgenland aus. „Das war damals das Ende der Welt“, erinnert sich Wolfgang Gröbming, heute im Militärkommando Burgenland beschäftigt.

Gröbming war bei einer der ersten Gruppen dabei, die entlang der grünen Grenze patrouillierten, um illegale Grenzgänger abzuhalten oder sie nach erfolgtem Übertritt festzunehmen. Im Rahmen des ersten Teils des Assistenzeinsatzes – bis 2007 – durften die Soldaten das noch. Sie hatten im grenznahen Bereich Exekutivbefugnisse. Seit vier Jahren, im Zuge des Assistenzeinsatzes „Schengenerweiterung“, dürfen sie nur noch Verdächtiges der Polizei melden. Die Kompetenzen schrumpften, die Kritik wuchs. Juristen bezweifelten die Verfassungskonformität des Einsatzes, der Rechnungshof bekrittelte die hohen Kosten. Der Einsatz wurde trotzdem Jahr für Jahr verlängert.

Nach und nach richtete man es sich an der Grenze gemütlicher ein. Die anfänglichen Zeltlager und Massenquartiere in angemieteten Gasthöfen wichen festen Container-Anlagen, das Heimfahrverbot während des sechswöchigen Einsatzes wurde gelockert, die Ausrüstung vereinheitlicht und modifiziert, die Truppenstärke nach und nach verkleinert. Waren zu Höchstzeiten durchschnittlich 1500 Mann im Einsatz, schmolz das Kontingent auf heute knapp 280 Mann. Damals wie heute geht es darum, „das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung“ sicherzustellen, wird beim Bundesheer der Einsatz verteidigt. Aus dem tatsächlichen Grenzschutz sind mittlerweile aber Überwachungstouren durch Wohnsiedlungen, rund um Einkaufszentren und Industrieanlagen geworden.

„Körberldamen“ als Mutterersatz

„Früher war es psychisch und physisch anspruchsvoller“, hört man von vielen der erfahrenen Soldaten. Vor allem wenn Schlepper selbst ihre „Klienten“ von den Sammelpunkten knapp hinter der Grenze entlang von ausgekundschafteten Routen nach Österreich begleiteten, konnte es „auch gefährlich werden“, erinnert sich Gröbming an seinen ersten Aufgriff: Nacht. Ein verdächtiges Rascheln in Büschen neben der Straße. Kurze Anweisungen an die Kameraden. Ein akkordierter Sprung ins Unterholz. Gröbming: „Ich war mir damals nicht sicher, wer mehr Angst gehabt hat: die Gruppe Rumänen oder wir.“

Aber nicht alle der insgesamt 355.814 an der Grenze eingesetzten jungen Soldaten kamen mit der psychischen Belastung des permanent möglichen Ernstfalls abseits des geschützten Kasernenhofs, der nächtlichen Stille und Einsamkeit zurecht. Knapp über zwanzig Selbstmorde und ebenso viele andersartig tödliche Unfälle stehen nach 21 Jahren in der offiziellen Einsatzbilanz. Dort sind auch Festnahmen von Wilderern, Apfeldieben und Hanfplantagenbetreibern protokolliert.

Der Kontakt zur Bevölkerung war teilweise innig. „Körberldamen“ versorgten die jungen Männer täglich mit frischer Mehlspeise. „Wir waren eine Art Mutterersatz“, erinnert sich Gerlinde Hauer aus Loipersbach. Besonders die aus Westösterreich stammenden Burschen hätten sich fernab der Heimat schwer getan – nicht nur emotional. Weil ihnen die Berge zur Orientierung gefehlt haben, hätten sie sich oft verfahren. 90.648 Menschen, die illegal über die Grenze wollten, wurden vom Bundesheer im Laufe der Jahre gestellt. Gruppen, Einzelpersonen und ganze Familien waren darunter. „Wir haben immer gemerkt, wo auf der Welt gerade eine Krise ausbricht“, kommentiert Gröbming die Herkunftsstatistik der Grenzgänger, die 111 Länder ausweist. Auch ein einst an der Grenze als kleines Kind aufgegriffener Mann war später als österreichischer Soldat im Assistenzeinsatz im Burgenland.

Auf einen Blick

Der Assistenzeinsatz des Bundesheeres endet nach 21 Jahren am 15.Dezember. Insgesamt wurden 90.648 illegale Grenzgänger aufgegriffen, 55.000 Tonnen Essen (davon 26 Mio. Semmeln) und vier Mio. Rollen Klopapier verbraucht. 133 Mio. Kilometer Transportwege wurden zurückgelegt, dafür jährlich fast eine Million Liter Treibstoff gebraucht. Gesamtkosten des Einsatzes: 230 Mio. Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Assistenzeinsatz duerfens denn
Politik

Assistenzeinsatz: "Wurden wie Helden empfangen"

16 Jahre lang leitete Friedrich Dialer den Einsatz an der Ostgrenze. Er spricht im DiePresse.com-Interview über die feldmäßigen Verhältnisse und die Effizienz des Einsatzes.
Assistenzeinsatz Hallo hier Unser
Politik

Assistenzeinsatz: "Hallo, hier 317. Unser Posten brennt!"

Von "illegalen Rehen", Schüssen im Zelt und der Jagd auf Wildschweine: Wie ehmalige Rekruten ihren Assistenzeinsatz an der Ostgrenze erlebten.
133 Millionen Kilometer,…

Der Assistenzeinsatz in Zahlen

Politik

Assistenzeinsatz: Chronologie einer "Zwischenlösung"

Vizekanzler Riegler nannte ihn 1990 eine "kurzfristige Zwischenlösung", doch er dauerte 21 Jahre: Eine Chronologie des Assistenzeinsatzes an der burgenländischen Grenze.
FPÖ will Videoüberwachung an der Grenze
Politik

FPÖ will Videoüberwachung an der Grenze zu Ungarn

Die burgenländische FPÖ vermisst ein Sicherheitskonzept für die Zeit nach dem Auslaufen des Assistenzeinsatzes des Bundesheeres.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.