Der Zynismus, mit dem Putin seine Rückkehr in den Kreml bekannt gab und Wahlen fälschen ließ, war vielen Russen zu viel.
Solch sanfte Töne waren aus dem Umfeld von Russlands starkem Mann selten zu hören: Jeder habe das Recht, seine Meinung kundzutun, solange er sich friedlich verhalte, meinte ein Sprecher von Premier Putin treuherzig. So, als habe die Führung in Moskau kein Problem mit den massiven Protesten, die am Wochenende das ganze Land überfluteten. Das ist pure Heuchelei. Denn wer bisher in Russland – in kleineren Gruppen – gegen die Staatsmacht demonstrierte, bekam rasch Polizeiknüppel zu spüren.
Zehntausende Menschen zerrt man freilich nicht so einfach von der Straße. Vor allem dann nicht, wenn sie ihre jahrelange Angst abgelegt haben, wenn ihre Wut stärker geworden worden ist als ihre Furcht, weil Autokraten übertrieben und ihren Hochmut zu klar zur Schau gestellt haben.
Ägyptens gestürzter Machthaber Hosni Mubarak etwa beging diesen Fehler, als er bei den Wahlen 2010 nicht nur im „normalen“ Umfang tricksen, sondern unverfroren fälschen ließ. Und als er deutlich machte, dass sein allseits verhasster Sohn Gamal seine Nachfolge antreten sollte. Damit konnten sich auch die mächtigen Streitkräfte so gar nicht anfreunden, deren Hilfe Mubarak später bitter nötig gehabt hätte.
Russland ist freilich nicht Ägypten. Und während in der arabischen Welt bereits erste „Sommergewitter“ toben, ist noch nicht absehbar, ob es je zu einem Russischen Frühling kommen wird.
Putin hätte – trotz all der unterschiedlichen politischen Konstellationen – dennoch einen genaueren Blick auf das werfen sollen, was sich etwa in Ägypten abspielte. Der Zynismus, mit dem er und sein Verbündeter Medwedjew den Russen zu verstehen gaben, dass Putins Rückkehr in den Kreml ohnehin längst beschlossene Sache war, und die Fälschungen bei der Parlamentswahl – das war auch vielen Russen zu viel.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2011)