Belgien: Amokläufer hortete Waffen um 250.000 Euro

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Immer mehr Details über die Bluttat im Zentrum Lüttichs werden bekannt: Der Täter sollte wegen eines Sittlichkeitsdelikts verhört werden. Kurz vor dem Anschlag tötete er die Putzfrau seines Nachbarn.

Lüttich/Den Haag. Nach dem Blutbad von Lüttich verharrt ganz Belgien in Schockstarre. Langsam werden mehr Details über den Amoklauf des 33 Jahre alten Nordine Amrani bekannt. Doch der Polizei ist es noch nicht gelungen, die Puzzleteilchen zusammenzusetzen.

Am Mittwoch fand die Polizei in einem vom Täter benutzten Lager die Leiche einer 45-jährigen Frau. Bei ihr dürfte es sich um die Putzfrau eines Nachbarn handeln. Laut Polizei wies die Frau einen Kopfschuss auf. Vermutlich erschoss Amrani sie, bevor er zu seinem Amoklauf in die Lütticher Innenstadt aufbrach und auf dem Place Saint Lambert direkt neben dem Weihnachtsmarkt mit Handgranaten und Salven aus einer Kalaschnikow vier weitere Menschen tötete. Unter den Toten sind zwei Schüler im Alter von 15 und 17 Jahren und ein 17 Monate altes Baby, das im Krankenhaus gestorben ist. Am Donnerstag ist eine 75 Jahre alte Frau im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen erlegen.

Mindestens 125 Menschen wurden verletzt. Der Täter erschoss sich nach seinem Amoklauf selbst – laut Gerichtsmedizin durch einen Schuss aus einem Revolver in den Kopf. Bisher wurde kein Abschiedsbrief des Attentäters gefunden, der Aufschluss über sein Motiv geben könnte.

Täter erschien nicht zu Termin

Amrani war einschlägig vorbestraft und war wegen Drogenhandels und Waffenbesitzes drei Jahre inhaftiert gewesen. Im Oktober 2010 kam er auf Bewährung frei. Am Dienstag hätte er um 13.00 Uhr zu einem Polizeiverhör erscheinen soll. Es ging um den Vorwurf eines Sittlichkeitsverbrechens. Im November wurde Anzeige gegen unbekannt eingebracht – laut der Zeitung „Le Soir“ ging es um „unsittliche Berührungen“. Ein Nummernschild eines auf Amrani angemeldeten Fahrzeuges wurde damals am Tatort sichergestellt, sagte die Staatsanwältin Daniele Reynders. Anstatt zur Polizei fuhr Amrani jedoch zum Place Saint Lambert in der Innenstadt und ermordete dort ganz willkürlich Menschen.

Waffenarsenal gefunden

Unterdessen rätselt man in Belgien über das Motiv von Amrani, den manche Flamen und Wallonen schon als den „Anders Breivik Belgiens“ bezeichnen. „Amrani fühlte sich nicht ernst genommen. Er hatte eine Art Verfolgungswahn und dachte, alle seien gegen ihn. Wenn irgendetwas schiefging, dann war es nie seine Schuld. Es war immer die Schuld von anderen. Ich glaube, er wollte sich mit diesem Attentat an der Gesellschaft rächen“, sagt der Anwalt Didier de Quévy über seinen Ex-Mandanten. Er hat Amrani in mehreren Strafprozessen verteidigt.

Amrani war von Beruf Schweißer und offenbar ein begieriger Waffensammler. In seinem Lager, in dem am gestrigen Mittwoch die Frauenleiche entdeckt wurde, befand sich nicht nur eine mächtige Cannabisplantage mit 2800 Pflanzen, sondern auch ein Waffenarsenal, darunter Panzerfäuste, ein Sturmgewehr des Typs AK-47, jede Menge Munition und Waffenteile. Nach Schätzungen der Polizei hat das Waffenarsenal des Amokschützen einen Marktwert von etwa 250.000 Euro.

König Albert und Königin Paola in Lüttich

Stellt sich die Frage: Warum hat die Polizei nicht schon früher die Wohnung des einschlägig Vorbestraften durchsucht? Innenministerin Joelle Milquet beeilte sich zu erklären, dass keiner der vorangegangenen Fälle mit Mord zu tun gehabt habe. Mit Blick auf die Tatsache, dass die Polizei vor vier Jahren in Amranis Wohnhaus große Mengen Waffen und Munition fand, sagte Milquet, in Belgien seien zu viele Waffen im Umlauf.

Milquet und der neue belgische Ministerpräsident Elio Di Rupo besuchten noch am Dienstagabend Lüttich ebenso wie König Albert II. und Königin Paola, um ihr Mitgefühl zu bezeugen. Premier Di Rupo sagte: „Das ganze Land teilt Ihren Schmerz.“

Auf dem Place Saint Lambert kehrte am Mittwoch allmählich das öffentliche Leben zurück. Der Platz war wieder für den Verkehr geöffnet. Auf dem lokalen Weihnachtsmarkt war es allerdings ruhiger als sonst. Weihnachten wird in Lüttich in diesem Jahr sicher kein allzu frohes Fest sein.

Auf einen Blick

Nordine Amrani, 1978 geboren und in Lüttich wohnhaft, war von Beruf Schweißer. 2008 wurde er wegen illegalen Waffenbesitzes und Drogendelikten zu 58Monaten Haft verurteilt. Im Oktober 2010 wurde er auf Bewährung freigelassen. Am 13. Dezember 2011 sollte er im Justizpalast am Place Saint Lambert zu einer Befragung erscheinen. Dabei ging es um ein Sittlichkeitsdelikt vom November des Vorjahrs. Damals soll er eine Frau unsittlich berührt haben. [Reuters]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2011)

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