Bundespräsident wird zum Problemfall für deutsche Regierung

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Christian Wulff wegen Kreditaffäre zusehends in Bedrängnis. Der Rückhalt in der Bevölkerung schwindet. Noch sind Rücktrittsspekulationen in der Koalition tabu.

Berlin. Der Privatkredit für seinen Hauskauf im niedersächsischen Großenburgwedel bei Hannover bringt den deutschen Bundespräsidenten immer mehr in Bedrängnis: Gestern mussten die Anwälte von Christian Wulff erstmals einräumen, dass der Unternehmer Egon Geerkens den Politiker bei der „Suche nach einer geeigneten Immobilie“ beraten habe.

Wulff hatte auf eine Anfrage der Grünen im niedersächsischen Landtag Anfang 2010 bestritten, dass es Geschäftsbeziehungen zu dem Unternehmer gab. Vergangene Woche musste er dann bestätigen, dass Geerkens Frau, Edith, ihm ein Darlehen von einer halben Million Euro gegeben hatte – zu günstigen Konditionen. Einen Monat später löste er den Kredit ab und wandelte ihn in ein Darlehen bei der baden-württembergischen BW-Bank um. Jetzt bleibt er bei dieser Verteidigungslinie, die indessen immer brüchiger wird. „Die Modalitäten wurden gemeinsam besprochen, das Darlehen von Frau Edith Geerkens gewährt“, erklärte Anwalt Gernot Lehr.

Wulff ist ein Präsident in der Defensive. „Wulffs Eigenheimzulage“, höhnt die Presse. SPD-Politiker Sebastian Edathy zieht bereits Vergleiche mit der Plagiatsaffäre des früheren Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg: „Erst wird dementiert, dann wird behauptet, es gebe Missverständnisse, dann wird eine Teilentschuldigung vorgenommen.“

Seitdem die „Bild“-Zeitung vor über einer Woche die Frage aufwarf, ob Wulff vor seinem Wechsel in den Amtssitz Bellevue bei Bonn den niedersächsischen Landtag belogen hat, verging kaum ein Tag, an dem nicht neue Bröckchen ans Licht kamen. Zuletzt wurde öffentlich, dass der niedersächsische Finanzberater Carsten Maschmeyer vor der Landtagswahl 2008 eine Anzeigenkampagne für Wulffs Buch „Besser die Wahrheit“ sponserte. Der Bundespräsident, dieser Tage viel unterwegs bei Weihnachtsterminen, wird von der Presse regelrecht gejagt und muss sich peinliche Fragen nach seiner Vergangenheit gefallen lassen. Ein ungewohntes Bild, denn das deutsche Staatsoberhaupt wirkt zuallererst durch die moralische Integrität, die ihm das Amt verleiht.

Schwindender Rückhalt

Wulff hat viel Kredit verspielt. Der Rückhalt in der Bevölkerung schwindet. Der Christdemokrat brauchte nach seiner Scheidung und der Hochzeit mit seiner jetzigen Ehefrau Bettina offenbar Geld. Viele Kommentatoren kritisieren, dass die „Kreditaffäre“ mit den Verwicklungen eines früheren Ministerpräsidenten von Niedersachsen in lokale Netzwerke der Würde des Amtes schade. Die Affäre Wulff ist keine Staatsaffäre, jedenfalls noch nicht, dazu sind die Vorwürfe nicht massiv genug. Aber sie ergeben ein irritierendes Puzzle eines Politikers, der zu wenig Distanz zu regionalen Society-Netzwerken gezeigt hat. Privatkredite, Ferien bei Unternehmerfreunden, zweifelhafte Flugticket-Upgrades – vieles, was Wulff aus seiner Zeit als Ministerpräsident vorgehalten wird, ist haarscharf daneben, aber nicht wirklich jenseits der roten Linie.

Wulffs Weihnachtsansprache wird in diesem Jahr also mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Schon jetzt scheint klar, dass der Präsident den moralischen Zeigefinger besser gesenkt lässt. Manche aus der Unionsfraktion legen ihm nahe, Fehler zu bekennen und sich zu entschuldigen.

Noch sind Rücktrittsspekulationen in der Koalition tabu, aber die Stimmung schwankt zwischen Unmut und Unverständnis. Die Frage ist, ob Wulff durchhält. Durch das Regierungsviertel wabern viele Gerüchte, den großen Skandal haben aber bisher weder „Bild“ noch „Spiegel“ ans Tageslicht zerren können, wirkliche Rechtsverstöße auch nicht.

Dennoch: Für Kanzlerin Angela Merkel ist das mediale Dauerfeuer gegen den früheren CDU-Vize, den sie ins Bellevue gebracht hat, heikel: Ihr Koalitionspartner FDP ist in Umfragen auf karge zwei Prozent abgestürzt, viele Christdemokraten bezweifeln die Regierungsfähigkeit der Liberalen. Die Präsidentenaffäre kann die Kanzlerin in der instabilen Situation überhaupt nicht gebrauchen.

Bemerkenswert ist daher, dass sie ihm über ihren Sprecher jüngst volles Vertrauen zusichern ließ. Normalerweise ist es Usus in der Bundesrepublik, dass sich Verfassungsorgane nicht übereinander äußern. Das wurde als Zeichen der Nervosität gedeutet, ein Rücktritt Wulffs wäre ein Menetekel für Schwarz-Gelb.

Auf einen Blick

Christian Wulff (52) hat während seiner Zeit als Ministerpräsident von Niedersachsen (2003–10) einen Privatkredit von der Gattin des befreundeten Unternehmers Egon Geerkens erhalten. Zunächst hatte Wulff das dementiert, nun mussten es seine Anwälte aber zugeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2011)

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