Deutschland: Wulff versucht den Befreiungsschlag

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Der Bundespräsident entließ überraschend seinen Pressesprecher, kündigte kurzfristig eine Ansprache an – und erklärte, dass ihm die Affäre um seinen Privatkredit leidtue.

Wien/Berlin. Die Kulisse hätte nicht besser gewählt werden können: Vor einem abstrakten Gemälde, dessen großflächige Farbkompositionen an eine herannahende Gewitterfront gemahnten, hielt Bundespräsident Christian Wulff Donnerstagnachmittag seine kurzfristig anberaumte Rede zur Causa prima ab – der Aufregung um ein Darlehen, das er in seiner Amtszeit als Ministerpräsident von Niedersachsen von einem befreundeten Ehepaar erhalten hatte.

Das deutsche Staatsoberhaupt hat einen Befreiungsschlag in der seit Tagen schwelenden Affäre gewagt, doch ist es ihm nicht gelungen, mit seiner Erklärung den dramaturgischen Spannungsbogen zu halten. Im Gegenteil: Nachdem die Meldung von der plötzlichen Entlassung seines langjährigen Pressesprechers Olaf Glaeseker und der unerwarteten öffentlichen Ansprache über die Ticker der Nachrichtenagenturen verbreitet wurde, rechneten manche Beobachter bereits mit einem Rücktritt des Bundespräsidenten. Doch daraus wurde nichts: Wulff trat an das Pult, las sein Statement von einem Zettel ab und verließ den Saal, ohne eine einzige der vielen offenen Fragen definitiv beantwortet zu haben. Dauer des präsidialen Auftritts: knappe vier Minuten.

„Das war nicht gradlinig“

Was Wulff allerdings klarmachte, war, dass ihm die ganze Angelegenheit leidtue. Er hätte Details über den Privatkredit für sein Einfamilienhaus früher offenlegen müssen. „Das war nicht gradlinig und das tut mir leid.“

Die Affäre reicht zurück ins Jahr 2008. Damals lieh sich Wulff 500.000 Euro von der Unternehmerfamilie Geerkens, um damit ein Einfamilienhaus in einem Vorort von Hannover zu kaufen. Zwei Jahre später wurde die Angelegenheit publik und Wulff musste vor dem niedersächsischen Landtag Stellung beziehen. Der damalige Regierungschef von Niedersachsen verneinte, eine Geschäftsbeziehung zu Egon Geerkens unterhalten zu haben – was oberflächlich betrachtet richtig war, denn der Kreditgeber war nicht der Unternehmer selbst, sondern seine Ehefrau Edith. Seitdem wurde allerdings bekannt, dass Egon Geerkens an der Aushandlung der Zahlung beteiligt war – und Wulff, der im Juni 2010 zum Bundespräsidenten gewählt wurde, musste inzwischen eine schiefe Optik zugeben.

Dass die Causa Geerkens für ihn einen Rücktrittsgrund darstellen könnte, stellte Wulff gestern jedoch wiederholt in Abrede. „Zu keinem Zeitpunkt habe ich in einem meiner öffentlichen Ämter jemandem einen unberechtigten Vorteil gewährt. Persönliche Freundschaften haben meine Amtsführung nicht beeinflusst.“ Er wolle das Amt des Präsidenten auch in Zukunft „gewissenhaft und mit ganzer Kraft ausfüllen“.

Den Abgang seines langjährigen Weggefährten Glaeseker wollte Wulff jedenfalls nicht kommentieren. Er wünsche seinem Pressesprecher „für weitere berufliche Herausforderungen alles erdenklich Gute“. Beobachter mutmaßen, dass das Staatsoberhaupt mit dem Krisenmanagement seines Mitarbeiters alles andere als zufrieden war. Aus dem Umfeld des Präsidialamtes hieß es, Glaeseker selbst habe um die Entlassung gebeten – und zwar, um sich und sein Privatleben aus der medialen Schusslinie zu nehmen.

Wulffs Zweifrontenkampf

Ob mit der Erklärung die ganze Angelegenheit für Wulff ausgestanden ist, scheint fraglich – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass der Bundespräsident auch an einer zweiten Front zu kämpfen hat: 2007, also ein Jahr vor dem privaten Darlehen, hat der Society-Unternehmer Carsten Maschmeyer eine Werbekampagne für Wulffs Memoiren – die bezeichnenderweise den Titel „Besser die Wahrheit“ tragen – finanziert. Aus dem Verlag, der das Buch publiziert hatte, hieß es inzwischen, dass derartige private Zuschüsse ein branchenübliches Prozedere seien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2011)

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