Orbans Zweidrittelmehrheit und ihre heiklen Folgen

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Die neue Verfassung ist nur der Gipfel zahlreicher umstrittener Gesetzesänderungen in Ungarn.

• Mediengesetz. Das umstrittene Mediengesetz wurde mit der Zweidrittelmehrheit von Premier Viktor Orbáns Partei Fidesz bereits Anfang des Jahres durch das Parlament geboxt. Zwar wurde es nach internationalen Protesten abgeschwächt, der heikelste Punkt blieb aber bestehen: die Schaffung einer neuen Medienaufsichtsbehörde, die in direktem Einfluss der Regierung steht. Im Dezember hob das Verfassungsgericht das Mediengesetz wegen der Unterwanderung der Pressefreiheit teilweise auf.

• Sondersteuern. Ebenfalls in diesem Jahr wurde eine Sondersteuer erlassen, die vor allem ausländische Konzerne treffen soll. Sie soll dazu dienen, das immer größere Budgetloch zu stopfen. Betroffen sind Telekom-Unternehmen, Energieversorger, Handelsunternehmen. Die Steuer wird erst ab einem gewissen Umsatz schlagend, deshalb sind die vorwiegend kleineren ungarischen Unternehmen kaum betroffen. Die EU-Kommission hat gegen die Sondersteuer ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

• Fremdwährungskredite. Das Parlament hat Ende September ein Gesetz verabschiedet, wonach die Banken verpflichtet werden, Fremdwährungskredite zu einem Kurs in Forint zu konvertieren, der für die Konsumenten deutlich günstiger als der Marktkurs ist. Die Kosten hätten die Banken tragen müssen. Letztlich wurde das Gesetz aber zugunsten der Institute modifiziert.

• Justizreform. Die Regierung hat im Rahmen der neuen Verfassung eine Reform der Justiz beschlossen, die bereits die EU-Kommission auf den Plan gerufen hat. Denn damit wird es möglich, mehr politischen Einfluss auf die Bestellung von Richtern zu nehmen. Außerdem soll das Pensionsalter für Richter gesenkt werden. Das Verfassungsgericht wird vorübergehend in seiner Kompetenz beschnitten und darf Gesetze, die Budgetfragen enthalten, vorerst nicht mehr beeinspruchen. Dies soll die Budgetkonsolidierung erleichtern.

• Nationalbank. Ungarns Regierung versucht, die Macht des Nationalbankgouverneurs zu beschneiden. Da die Unabhängigkeit der Institution dadurch gefährdet ist, hat sich die Europäische Zentralbank (EZB) eingeschaltet. In einer Erklärung warf sie der Regierung einen Verstoß gegen das Statut des Zentralbankensystems vor. Ein Protestschreiben der EU-Kommission wies Premier Viktor Orbán zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2011)

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