Aggressivität, Ignoranz verblüffen

Warum greift ein Journalist eine so angesehene Institution wie „Reporter ohne Grenzen“ und zwei von ihr geehrte Preisträger an?

Es ist zwar nicht meine Aufgabe, darüber zu spekulieren, warum ein ehemaliger Balkan-Korrespondent einer deutschen Fernsehanstalt, der nach meinen Informationen kaum je über Ungarn berichtet hat, nun in einer so aggressiven und zugleich ignoranten Weise die Kritiker der Orbán-Regierung angreift. Es ist auch nicht meine Absicht, das Mediengesetz, dessen fragwürdige Bestimmungen das ungarische Verfassungsgericht dieser Tage verworfen hat, zu analysieren. Ich bin überzeugt, dass die Leser der „Presse“ über die Lage im Nachbarland vollauf informiert sind.

Was mich als langjährige ungarische Rundfunkjournalistin verblüfft, ist die Tatsache, dass jemand, der selbst Journalist ist, eine so angesehene Institution wie „Reporter ohne Grenzen“ und die beiden Preisträger unvermittelt angreift. Dies geschieht in einem Stil und mit Adjektiven, die aus diversen Rechtfertigungs- und Berichtigungsbriefen ungarischer Botschafter (nicht zuletzt auch in Wien) und aus Kommentaren regierungsnaher Medien bekannt sind: „Es sind immer die gleichen durchsichtigen Phrasen, mit denen der Untergang der Demokratie beschworen wird...“ Zu dieser Taktik gehört auch die Methode, die Kritiker persönlich anzugreifen und zu diskreditieren.

Fadenscheinige Vorwände

Ob und warum zum Beispiel Maria Vasarhelyi gegen zwei „linke Kollegen“ (übrigens wegen frauenfeindlicher und beleidigender Adjektive) prozessiert, hat nichts zu tun mit ihren von der Jury anerkannten Leistungen als Publizistin und Kommunikationswissenschaftlerin.

Ob sie und ihr junger preisgekrönter Kollege, Daniel Pal Renyi, für linke oder rechte Zeitschriften schreiben, hat nichts zu tun mit dem Wahrheitsgehalt ihrer Enthüllungen über die Mediensituation oder Schlüsselfiguren an der Spitze der allmächtigen Kontrollorgane.

Ich kenne die Haltung des früheren Generalsekretärs des österreichischen Außenamtes, Botschafter Albert Rohan, zur Türkei nicht. Bei der Preisverleihung jedenfalls hat er über die ungarische Mediensituation gesprochen.

Mit ähnlich fadenscheinigen Vorwänden verlangt Kleinert von Laudator Paul Lendvai, er hätte statt über die Misere der öffentlich-rechtlichen Medien in Ungarn über die Auswahl von „Talk-Show-Gästen“ und die Bestellung von Chefredakteuren beim ORF sprechen sollen.

Jene weit über 500 Redakteure, Reporter und Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen ungarischen Fernsehens und Hörfunks, die in den letzten Monaten ohne Erklärung mit minimaler Abfertigung auf die Straße gesetzt wurden, betrachten jedenfalls im Gegensatz zum pensionierten deutschen Kollegen die beiden Preisträger und die Jurymitglieder nicht als „Blockwarte der Ideologie“, sondern als Kämpfer für Pressefreiheit und Menschenrechte.

Übrigens: Erst in der vergangenen Woche hat die ungarische nationale Medienbehörde dem letzten freien Radiosender „Klubradio“ die Frequenz entzogen.

Julia Váradi (*1948 in Budapest) arbeitete als Kulturjournalistin bei ungarischen Medien, zuletzt bei dem vergangene Woche behördlich abgedrehten „Klubradio“.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.