Der Preis für Gold fällt seit Tagen, die Spekulanten flüchten und die Anleger zittern. Aber Emotionen sind kein guter Investment-Ratgeber. Der goldene Bullenmarkt ist intakt.
Wien. Am Goldmarkt herrscht Nervosität. Der Preis für das Metall ist am Donnerstag zwischenzeitlich auf ein Fünfmonatstief von weniger als 1550Dollar pro Unze gefallen. Einzig: Der Grund dafür ist unklar. Gold gilt als „Fieberthermometer der Weltwirtschaft“. Es steigt, wenn die Anleger einen „sicheren Hafen“ suchen. Es fällt, wenn das Vertrauen zurückkehrt. Nachdem sich die Schuldenkrise keineswegs in Luft aufgelöst hat, stellt sich die Frage: Was ist mit dem Goldpreis los? Ist etwa die „Goldblase“ geplatzt?
Nein, sagt Ronald Stöferle, Goldanalyst der Erste Group. „Wir erleben eine ganz normale Korrektur im Bullenmarkt. Die Nervosität bei Anlegern stimmt mich eher zuversichtlich. Das ist nicht das Sentiment, das wir in einer Blase hätten.“ In einer echten Bubble würden die Menschen nicht nervös werden – sie würden um jeden Preis in den Markt einsteigen. Wie man es bei der Dotcom-Blase erlebt hat. Die Fundamentaldaten am Goldmarkt sprechen eine klare Sprache. Worauf zu achten ist:
• Gold notiert in Dollar.Nur in der US-Währung ist der Preisrückgang wirklich zu spüren – was eher für eine Dollar-Stärke spricht als für eine Goldschwäche. Im Euro ist Gold auf Jahressicht zwölf Prozent im Plus und nur elf Prozent vom Allzeithoch (1356Euro) entfernt.
• Die Krise verschärft sich. Entgegen aller Beteuerungen der Politiker ist eine Lösung der Staatsschuldenkrise in den USA und Europa nicht in Sicht. Die Interventionen der Zentralbanken (quantitative Easing, billige Kredite) verschieben und vergrößern das Problem lediglich. „Man muss den Goldpreis immer in Relation zur Geldmengenentwicklung betrachten. Da sieht man sehr schnell, dass Gold heute in Wahrheit unterbewertet ist“, sagt Stöferle.
• Die Spekulanten flüchten. Auch am Goldmarkt wird mithilfe von Krediten spekuliert. An den Terminmärkten wird weit mehr Gold gehandelt, als eigentlich existiert. Die Spekulanten lassen sich von überraschenden Preissprüngen viel leichter aus dem Markt vertreiben als Halter des physischen Metalls. Am Markt für Münzen und Barren steigt die Nachfrage seit 2008 massiv. Goldhändler in Deutschland und Österreich schreiben ein Rekordjahr nach dem anderen. „Wer vom langfristigen Bullenmarkt überzeugt ist, greift auf dem aktuellen Preisniveau gern zu“, sagt Stöferle.
• 2012 ist nicht 1980. Rund 60 Prozent der physischen Nachfrage kommen heute aus China und Indien. Als Gold im Jahr 1980 seinen Höchststand erreichte (rund 850 Dollar), waren diese rund zwei Milliarden Menschen vom Goldmarkt komplett ausgeschlossen. Unter Einbeziehung der Inflationsrate müsste Gold auf 2300Dollar pro Unze steigen, um den Höchststand von 1980 zu egalisieren. Verwendet man die US-Inflationsberechnung vor deren Änderung im Jahr 1990, dann müsste der Preis sogar auf 7000 Dollar steigen. Institutionelle Investoren (Pensionsfonds etc.) haben heute nur 0,15 Prozent ihres Geldes in Gold und Goldminenaktien investiert. 1980 waren es mehr als 20Prozent.
• Emotionen sind kein Ratgeber.Wie der Goldpreis sich 2012 genau entwickeln wird, weiß freilich niemand. Aber Emotionen sind in keinem Fall ein guter Ratgeber. „Nüchtern betrachtet wird es bald zu einer Bodenbildung kommen, und dann wird der nächste Move nach oben starten“, sagt Stöferle.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2011)