Demokratie-Domino, der Irak und der „Arabische Frühling“

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George W. Bush wollte mehr als nur „Iraks Öl stehlen“. Viele der Ziele haben die USA nicht erreicht. Und doch herrscht im Irak heute mehr Freiheit als zu Saddams Zeiten.

Es war George W. Bushs „War of Choice“: Der selbst gewählte Krieg, der – anders als der Afghanistan-Einsatz – nicht nötig war, um die Hintermänner der Anschläge vom 11. September 2001 auszuschalten. Und doch sah die Führungsmannschaft rund um den US-Präsidenten den Irak-Feldzug als Teil ihres sehr weit gefassten „Krieges gegen den Terror“, als wichtigen Schachzug bei der Neuordnung des Nahen Ostens. Die Rhetorik vieler Kriegsgegner, es sei Bush nur darum gegangen, Iraks Öl „zu stehlen“, ist zu schlicht. Es ging um mehr. Natürlich spielte der Reichtum an Bodenschätzen eine Rolle, ist er doch einer der Gründe für die große strategische Bedeutung der Golfregion. 9/11 zeigte erneut, dass Saudiarabien, wichtiger Verbündeter und Öllieferant des Westens, ein unsicherer Kantonist ist. Aus dem Königreich stammte der Großteil der Attentäter, saudische Kreise unterstützten seit jeher Extremisten in aller Welt. Ein demokratischer, säkularer Irak als neuer Partner wäre wie gerufen gekommen. Der Einzige, der dem im Wege zu stehen schien, war Saddam Hussein.

Die USA wollten zudem ein Exempel statuieren und zeigen, dass die Anschläge sie nicht geschwächt hatten. Länder wie der Iran sollten es erst gar nicht wagen, Washington in die Quere zu kommen. Dazu kam die naive Reißbrett-Idee der „Neokonservativen“, man könne mit Panzern Demokratie exportieren, und ein „befreiter Irak“ würde einen Dominoeffekt in der ganzen Region auslösen.

Ganz nebenbei konnte man ein altes Problem aus der Welt schaffen: Denn der Irak-Krieg begann nicht erst 2003, sondern 1990, mit Iraks Einmarsch in Kuwait. Eine US-geführte Koalition vertrieb Saddams Truppen aus dem Golfstaat. Der Irak wurde harschen Sanktionen unterworfen, britische und US-Flugzeuge operieren seither über dem Norden und Süden des Landes, und Bushs Vorgänger Clinton führte 1998 einen begrenzten Militärschlag gegen den Irak, weil er Saddam vorwarf, UN-Waffeninspektoren hinters Licht zu führen. Daher die Schlussfolgerung: Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Als Vorwand mussten jene Massenvernichtungswaffen dienen, die nie gefunden wurden. Zieht man heute Bilanz, wird klar, dass der Schrecken zunächst perpetuiert wurde: Attentate der Bürgerkriegsparteien lösten Saddams Massenmorde ab.

Das mit der Warnung an andere Regimes funktionierte kurz: 2003 beendete Libyen sein Atomprogramm, und Teheran gab zu, an Nukleartechnologie zu arbeiten. Heute ist der Iran aber stärker denn je zuvor – gerade wegen seines Einflusses im Irak. Die USA büßten durch die Probleme im Zweistromland an Abschreckungspotenzial ein.

So dubios die Regierung von Nouri al-Maliki auch sein mag: Heute herrscht im Irak mehr Freiheit als zu Saddams Zeiten, die Kurdengebiete florieren. Funktioniert hat die Demokratie-Domino-Theorie aber nicht. Im Gegenteil: Angesichts des Bürgerkriegschaos wurde der Irak zunächst zum abschreckenden Beispiel. Und aus Angst vor dem, was danach kommen könnte, hielt Washington bis zuletzt an „seinen“ arabischen Autokraten fest.


Mittlerweile schwappt eine Welle von Aufständen gegen die repressiven Regimes über die arabische Welt. Mubarak mussten die USA fallen lassen, Ägyptens Militärregime wird weiter unterstützt. Gaddafi, der es wie einst Saddam übertrieb, wurde mit Hilfe des Westens gestürzt. Auch wenn Was-wäre-wenn-Fragen müßig sind: Hätte der „Arabische Frühling“ vor dem Irak haltgemacht, wenn Saddam noch an der Macht wäre? Wäre der Westen heute erst recht zum militärischen Eingreifen gezwungen, so wie in Libyen? Libyen war Nicolas Sarkozys und Barack Obamas „War of Choice“. Auch hier ging es um den Sturz eines Diktators, um den Versuch, die Entwicklung im arabischen Raum mitzugestalten. Es geschah mit der Hilfe für bedrängte Aufständische, der Verhinderung eines Massakers, ohne Bodentruppen und direkte Einmischung in Libyens Innenpolitik nach Gaddafi – also dezenter als 2003 im Irak. Dieses Mal wurde niemand mit dem Sturz seines Despoten zwangsbeglückt. Wie schwer der Übergang zu mehr Freiheit und Demokratie trotzdem ist, zeigt sich auch jetzt – ein Jahr nach Beginn des „Arabischen Frühlings“.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2011)

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