Die Aktie der Anerkennung

Meisterlich: Svenja Flaßpöhlers Analyse der Arbeitsgesellschaft.

Svenja Flaßpöhlers neues Buch „Wir Genussarbeiter“ ist ein Geschenk. Es erinnert uns daran, dass es vor der Ära der Kernspintomografen Menschen gegeben hat, die versucht haben, den Ursachen unseres Handelns durch Denken auf den Grund zu gehen. Warum nutzen wir die Freiheit von religiösen und ideologischen Zwängen dazu, uns täglich freiwillig der Unterdrückung durch die Leistungsgesellschaft zu unterwerfen? Warum arbeiten wir bis zum Umfallen, warum schrecken wir vor keiner Qual zurück, die uns das unausgesetzte Bemühen um Selbstoptimierung auferlegt?

Es ist die unstillbare Sehnsucht nach Anerkennung. Svenja Flaßpöhler fragt: „Woran liegt es, dass wir heute so angestrengt um Anerkennung kämpfen?“ Antworten darauf findet sie bei den großen Denkern – von Aristoteles bis Kant, von Heidegger bis Adorno, von Freud bis Foucault. Ihre Analyse ist zugleich schonungslos und liebevoll. Der moderne Mensch hat mitnichten das Genusstabu hinter sich gelassen, das alle großen Erzählungen der Menschheit eint. Er fühlt sich immer noch schuldig und schwankt in seinem täglichen Tun zwischen Leidenschaft und Zwang, zwischen Genuss und Sucht wie ein Irrender, Haltsuchender und Nichtfindender. Seit der Aufklärung, so Flaßpöhlers Analyse, haben wir den Halt durch das göttliche Aufgehobensein verloren und suchen ihn immer noch in Ritualen, die wir uns selbst schaffen. Wir verausgaben uns in Aktivismus, weil wir das Innehalten nicht aushalten.

Die Triebregung unterdrücken

Nicht anders als der archaische lebt auch der moderne Mensch „ständig in der diffusen Angst, dass irgendetwas zum Vorschein kommt. Dieses ,Irgendetwas‘ ist eine Triebregung.“ Und diese gilt es zu unterdrücken und zu verdrängen. Durch Arbeit als Genuss. Doch ist es wirklich Lust, die uns rund um die Uhr verfügbar sein lässt, oder ist es Zwang? Die Philosophin legt Heidegger auf die Couch, der Arbeit als perfekte Sublimation gelebt hat, und Narziss, den Erstarrten, der sich verzweifelt und hoffnungslos in ein Gegenüber verliebt hat, das nicht zurückliebt. Sie besucht die christlichen Asketen in ihren selbst gewählten Verzichtsklausen, wo sie ihren Dämonen nur umso hilfloser ausgesetzt sind. Sie streift die Pornografisierung unserer Gesellschaft, die durch unaufhörliches Lustproduzieren nur die zunehmende Lustlosigkeit überdeckt, den Schönheitswahn, die psychische Optimierung durch Psychopharmaka, die Abschaffung des Schmerzes, die doch nur zur Folge hat, dass wir unsere Grenzen und damit uns selbst verlieren.

Flaßpöhler packt die Leserin bei der Hand und führt sie durch eine aufregende, inspirierende Welt des Denkens. Sie versteht es meisterlich, den Gedanken und Schlussfolgerungen durch einfühlsame und punktgenaue Schilderungen Körper zu verleihen. Man gibt sich gern in die Hand dieser Frau, die bei aller Klarsichtigkeit nie pessimistisch ist. Und nicht versäumt, dem Individuum einen Ausweg aus der gesellschaftlichen Prägung zu zeigen: die Erotik des Denkens und Arbeitens, die nur dann wirken kann, wenn man loslässt, wenn man tut, was Adorno empfiehlt: „Auf dem Wasser liegen und friedlich in den Himmel schauen.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2012)

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