Rechtsextremismus: Führer fehlt, Neonazis zersplittern

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Seit einem Dreivierteljahr sitzt Heinrich Küssel, Neonazi und Gründer der Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition, in U-Haft. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Für den Staatsschutz ist das nur bedingt erfreulich.

Wien. Seit Jahren gilt er in der Öffentlichkeit als das Aushängeschild der äußersten Rechten in Österreich: Gottfried Heinrich Küssel, bekennender Nationalsozialist, Gründer der Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition (Vapo) und verdächtig, einer der führenden Köpfe hinter der inzwischen geschlossenen Neonazi-Webseite „alpen-donau.info“ gewesen zu sein (siehe Artikel unten).

Ein Dreivierteljahr schon hat Küssel zu seinen Kameraden keinen Kontakt mehr. Er sitzt in U-Haft. Die Lücke, die er in der einschlägigen Szene hinterlassen hat, ist groß. Agieren die Rechtsextremisten seither ohne Anführer?

Recherchen haben ergeben, dass derzeit niemand genügend Anerkennung besitzt, um ernsthaft in Küssels Fußstapfen zu treten. Das hat mehrere Gründe. So galt der 53-Jährige in seinem Führungsstil als geradezu standesgemäß autoritär. Über viele Jahre seiner Präsenz ließ er niemanden neben sich aufkommen. Bis auf seinen Wiener Wohnungsnachbarn und langjährigen Weggefährten B. Der 34-Jährige war bei einschlägigen Veranstaltungen immer an Küssels Seite, erledigte, stark vereinfacht gesagt, die Amtsgeschäfte. Die Nachfolge kann B. nicht antreten: Er sitzt gemeinsam mit seinem Idol in U-Haft.

Was Küssel ebenfalls „auszeichnete“ und der zweiten Reihe fehlt, war seine vergleichsweise hohe Akzeptanz innerhalb der Szene. Auch wenn ihn so mancher alte Herr mangels Formalbildung als plumpen Marschierer belächelte: Die Galionsfigur der Austro-Nazis tanzte auf vielen Hochzeiten. Er konnte mit akademischen Burschenschaftern genauso wie mit Schlägern, genoss Akzeptanz bei Mitgliedern von Vor- und Nachkriegsgeneration, war so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man sich mit ein wenig gutem Willen einigen konnte. Zudem ging Küssel für die gemeinsame Sache Risiken ein, die die anderen scheuten: Er betrieb eine besondere Art der Öffentlichkeitsarbeit, hielt Reden, reiste durch In- und Ausland, hielt so Sympathisanten bei der Stange und machte Nachwuchs auf die Ideologie aufmerksam.

Das ist jetzt vorbei. Am ehesten trauen Szenebeobachter und -mitglieder einigen wenigen Jungnazis aus Wien und Oberösterreich zu, zentrale Figuren zu werden, etwa dem 29-jährigen M. und dem 26-jährigen P. Was sie (derzeit) noch daran hindert: Ihre Jugend stößt bei der älteren Generation auf Ablehnung, zudem sind beide zu stark in ihren regionalen Szenen verwurzelt, als dass sie auf bundesweite Zustimmung stoßen könnten.

Laut Analysen befinden sich die bekennenden Nationalsozialisten seit der Festnahme Küssels und seiner mutmaßlichen Komplizen in einer Art Schockstarre. Der Wink mit dem Zaunpfahl, dass sich der Staat das Katz-und-Maus-Spiel nicht gefallen lässt, Wiederbetätigung und Volksverhetzung via Internet ernst nimmt und mit hohen Haftstrafen bedroht, hat seine Wirkung nicht verfehlt. Auch deshalb reißt sich niemand um die Nachfolge Küssels.

Szene taucht in den Untergrund

Das wohl stärkste Argument gegen eine klassische Nachfolge ist jedoch der Strukturwandel innerhalb der Szene. Klassische Organisationsformen wie Parteien oder Vereine mit einem (an-)greifbaren Vorsitzenden sind nicht mehr zeitgemäß. Im Gegensatz zu Küssel und der älteren Generation organisiert sich der Nachwuchs in Kleingruppen und hochgradig konspirativ, nutzt zur Kommunikation das Internet, soziale Netzwerke sowie Anonymisierungs- und Verschlüsselungstechnik. So werden blitzschnell Rekrutierungsaktivitäten oder Ideologisierungsprojekte (z.B. Flugblattaktionen) organisiert.

Für den Staatsschutz erschwert das die Arbeit. Lose Gruppen sind schwieriger zu kontrollieren als polternde Szenefossile. Dabei könnte der Einfluss Küssels sogar noch steigen. Wird er verurteilt, fürchten Ermittler seine Wandlung zum Märtyrer, der vom verhassten Staat wegen seiner angeblich aufrechten Gesinnung eingesperrt wurde. Seit Jahren schon definiert sich ein Großteil der Szene über die angebliche Opferrolle, in die sie sich durch das heimische Verbotsgesetz gedrängt sieht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2012)

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