Wie eine austro-iranische Forscherin ermittelt hat, sind konsumorientierte Iraner nicht von vornherein liberal und prowestlich eingestellt. Ähnlich wie die Religiösen würden auch sie stark hierarchisch denken.
Wien/Vers. „Die iranische Gesellschaft wird oft so dargestellt, als gäbe es auf der einen Seite die Gruppe der konservativen Iraner, in der Frauen Wert auf Verschleierung legen, und auf der anderen Seite westlich orientierte Frauen, die den Schleier ablegen“, sagt Ariane Sadjed. „Bei der zweiten Gruppe heißt es dann: Das sind die Iraner, die wir unterstützen sollten.“ Sadjed, die in Wien aufgewachsen ist, hat soeben an der Humboldt-Universität in Berlin ihre Dissertation über das Konsumverhalten und die Entwicklung einer Zivilgesellschaft im Iran fertiggestellt. Ihr Vater kam in den 1960er-Jahren nach Österreich – „und ich war die erste, die nach zwei Generationen wieder hingefahren ist, zu Forschungszwecken“, sagt Sadjed.
Die Forscherin hat Lifestyle-Zeitschriften im Iran analysiert und per Onlinefragebogen über 140 Teheraner zu Konsumverhalten und sozialer Einstellung befragt. „Es hat sich gezeigt, dass religiöse Werte bei konsumorientierten Menschen zwar in den Hintergrund rücken, aber die Personen haben damit nicht automatisch liberale Einstellungen.“ Zwar stünden bei ihnen Markenkleidung und Prestigeobjekte im Vordergrund und nicht spirituelle Werte, aber ähnlich wie die Religiösen würden auch sie stark hierarchisch denken. „Die einen teilen ihre Hierarchie anhand von Waren und Geld ein: Sie denken, wer viel Geld hat, sollte die Gesellschaft führen. Die anderen ziehen eben religiöse Maßstäbe heran.“
Sadjeds zentrale Fragen waren, ob Irans Gesellschaft dank marktwirtschaftlicher Strukturen demokratischer werden könne und ob der Islam ein Hindernis auf dem Weg zur „modernen kapitalistischen Gesellschaft“ sei. „Die Recherche über die Geschichte des Irans und sein Verhältnis zum Westen hat gezeigt, dass sich immer nur die bereicherten, die ohnehin schon an der Macht waren“, so Sadjed. Die seit den 1990er-Jahren betriebene Wirtschaftsöffnung wurde durch Präsident Mahmoud Ahmadinejad weiter angekurbelt: Iranische Firmen wurden privatisiert oder suchten internationale Partner, was früher verboten war. „Davon hat aber nur die politische und wirtschaftliche Elite profitiert: Es gibt zwar eine neue Mittelschicht, die gut ausgebildet ist, aber die hat keine Chance, vom Kuchen etwas abzubekommen“, sagt Sadjed.
Staatlich propagierter Lifestyle
Gleichzeitig, das zeige auch die Analyse der Zeitschriften, werde von staatlicher Seite eine neue Form von Lifestyle propagiert, die Islam und Kapitalismus vereint. „Dabei handelt es sich um eine spezifische Fusion von einem staatlich definierten Islam mit Werten, die mit dem freien, globalen Markt kompatibel sind.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2012)