Carsharing: Losfahren, an jeder Ecke

Carsharing Losfahren jeder Ecke
Carsharing Losfahren jeder Ecke(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
  • Drucken

Seit rund einem Monat ist Car2go in Wien tätig. Den Nutzern des Systems stehen 500 Smarts zur Verfügung, die nach der Nutzung nahezu überall wieder abgestellt werden können.

Eine einzige Voraussetzung gibt es: Internet oder noch besser ein internetfähiges Handy sollte zur Verfügung stehen. Sonst dürfte die Suche nach einem der 500 Smarts, die im Wiener Stadtgebiet verteilt sind, ziemlich mühsam werden. Mit einem Smartphone und dem entsprechenden App ist es jedoch kinderleicht, den nächsten Smart zu finden. In der Regel ist dieser auch nicht weiter als ein paar hundert Meter entfernt. Hat man Pech, können es aber auch eineinhalb Kilometer sein. Das ist sozusagen die Kehrseite des neuartigen Carsharing-Systems von Car2go, einer Tochter des deutschen Autokonzerns Daimler, die per Anfang Dezember in Wien als weltweit zehnter Stadt gestartet ist.

Bei Car2go gibt es nämlich keine festen Stellplätze, von denen die Autos abgeholt und wo sie nach der Nutzung wieder hingebracht werden müssen. Die Fahrzeuge können indes in einem definierten „Geschäftsgebiet“, das den Großteil von Wien ausmacht, auf jeder Straße abgestellt werden. Für die blaue Zone hat jeder Car2go-Smart ein pauschales Parkticket. Das freie Abstellen führt angesichts der noch im Aufbau befindlichen Nutzerzahl jedoch dazu, dass sich manchmal Smarts in gewissen Gegenden quasi zusammenrotten, während in anderen Stadtteilen gähnende Leere herrscht.

Ist die Zahl der Nutzer jedoch auf ein gewisses Maß angewachsen – im mit Wien vergleichbar großen Hamburg sind es bereits 9000 –, stelle sich erfahrungsgemäß ein automatisches Gleichgewicht bei der Verteilung der Autos ein, heißt es bei Car2go. „Sollte ein Auto doch einmal mehrere Tage an demselben Platz stehen, was sehr selten vorkommt, wird es von einem unserer Mitarbeiter umgestellt“, so Sprecherin Juliane Mühling.


Mitgliedskarte als Schlüssel. Hat der Kunde sein Car2go schließlich gefunden, sperrt er es mit seiner Mitgliedskarte über ein an der Windschutzscheibe angebrachtes Lesegerät auf – die Autoschlüssel verbleiben in den Smarts. Danach braucht nur noch gestartet und losgefahren zu werden. 29 Cent kostet dabei die Minute – Treibstoff inklusive. Betankt werden die Autos von Car2go-Mitarbeitern oder Nutzern (per im Auto liegender Tankkarte), die dafür Freiminuten erhalten.

Im „Presse am Sonntag“-Praxistest dauerte eine Fahrt vom elften in den zweiten Wiener Bezirk mit dem Smart (außerhalb der Stoßzeit, samt Fußwegen zum und vom Auto) 16 Minuten. Die Rückfahrt mit der U-Bahn (ebenfalls samt kurzen Fußwegen) in der Hauptverkehrszeit dauerte mit 33 Minuten ziemlich genau doppelt so lang. Dafür kostete die Car2go-Fahrt mit 4,64 Euro auch mehr als doppelt so viel wie ein Einzelfahrschein der Wiener Linien mit 1,80 Euro. Im Vergleich zu einem Taxi ist das geliehene Auto jedoch günstig. Denn laut Wiener Taxitarif hätte die Fahrt rund 13 Euro gekostet.

Im Schnitt dauert eine Car2go-Fahrt zwischen 20 und 40 Minuten und geht über fünf bis zehn Kilometer. Damit steht das Konzept laut Kritikern wie dem heimischen VCÖ nicht nur in Konkurrenz zu privaten Pkw, sondern auch zum öffentlichen Verkehr. Ein Vorwurf, den man bei Car2go nicht nachvollziehen kann. „Wir sind ein Puzzleteil im Mix der städtischen Verkehrsmittel“, so Mühling.

In den Städten, in denen das Unternehmen bereits aktiv ist, habe es auch keinerlei Rückgänge beim öffentlichen Verkehr gegeben. Im deutschen Ulm gäbe es vielmehr eine Kooperation zwischen Car2go und den Verkehrsbetrieben. So erhalten etwa Studenten, die ein Semesterticket haben, pro Monat 30 Freiminuten von Car2go. „So brauchen sie auch kein eigenes Auto, wenn sie in der Nacht mobil sein wollen und die öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr fahren“, sagt Mühling.

Car2go und seiner Mutter Daimler geht es bei dem neuen Geschäftsmodell aber nicht nur um altruistische Motive. Bis 2014 will man schwarze Zahlen schreiben. Bis 2016 soll die Firma in 40 bis 50 Städten in Europa und mehr als zehn Städten in Nordamerika am Start sein. Damit will Daimler seine Vorreiterstellung behalten. Denn inzwischen ist etwa BMW mit dem Konkurrenz-System DriveNow auch schon in drei deutschen Städten aktiv.

„Daimler erhält über Car2go nun auch erstmals Zugang zu Kunden, die bisher kein eigenes Auto hatten oder zumindest keinen Smart oder Mercedes haben wollten“, sagt Mühling. Außerdem sei die „erweiterte Mobilitätskette“ aus Sicht des Konzerns ein zukunftsträchtiges Geschäftsfeld.

Für die rund 50.000 weltweiten Kunden bringt Car2go auf jeden Fall zusätzliche Optionen, um sich in einer Stadt zu bewegen. Allerdings entstehen dadurch auch neue Probleme – etwa beim Datenschutz. So weiß das Unternehmen, wann und wo jemand in ein Auto eingestiegen ist und wann und wo er es wieder verlassen hat. Denn ohne die ständige Vernetzung der Autos mittels GPS und Mobilfunks wäre das System nicht durchführbar. Während der Fahrt würden aber keine Aufzeichnungen der GPS-Daten gemacht, versichert Mühling.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.