Karas: „Oberlehrer-Mentalität war schon bei Österreich ungerecht“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der neue Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas, zu Ungarn, seinem Verhältnis zur ÖVP und zum Ziel einer politischen Union.

Die Presse: Die Europäische Volkspartei wird kritisiert, den ungarischen Premier Orbán mit Samthandschuhen anzufassen, weil er aus der gleichen Parteienfamilie kommt. Ist das so?

Othmar Karas: Ich bin kein Freund von Samthandschuhen, sondern ein Freund der Einhaltung der Regeln der europäischen Rechts- und Wertegemeinschaft von den Mitgliedstaaten und der EU. Wenn jemand Recht verletzt, dann haben wir das zu debattieren und intern zu lösen. Dazu brauchen wir keinen IWF und keinen Brief von Clinton. Mir gefällt der Ton „Brüssel oder Budapest“ gar nicht. Wir sitzen alle im gleichen Boot. Die Entscheidung der Kommission, Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, war wichtig. Ich erwarte mir, dass die Beschlüsse der Kommission rasch eins zu eins umgesetzt werden. Die parteipolitische Debatte nützt aber nichts, und die Oberlehrer-Mentalität von außen war schon bei Österreich ungerecht. Aber es ist selbstverständlich, dass, wenn Recht verletzt wird, wir wie alle Demokraten darauf drängen, dass diese Verfehlungen beseitigt werden.

Sie wurden heute zum Vizepräsidenten des Europaparlaments gewählt. Fühlen Sie sich durch die neue Position in Ihrer Partei rehabilitiert?

Darum geht es nicht. Ich trete für meine Überzeugungen ein und suche dafür Verbündete. Das kann zu Konflikten führen, aber es geht immer darum, dass die politische Debatte keine persönliche Auseinandersetzung wird. Die Wahl zum Vizepräsidenten ist nur eine Bestätigung meines Weges. Ich bin überzeugter Christdemokrat, und die Grundlage meiner Arbeit ist die Rechts- und Wertegemeinschaft der Europäischen Union. Natürlich tut es mir manchmal weh, wenn parteitaktische Spielchen über das Gemeinsame gestellt werden.

Würden Sie sich in europapolitischen Fragen mehr Rückhalt von den Parteikollegen in Österreich wünschen?

Meine Funktion ist dem europäischen Projekt verpflichtet, und dafür werbe ich auch um Unterstützung. Ich habe heute auch sehr viele Stimmen aus anderen Fraktionen und von Abgeordneten anderer Länder bekommen. Man nimmt mir ab, dass ich das Gemeinsame über das Trennende stelle, und das ist die Voraussetzung dafür, dass man das verloren gegangene Vertrauen in die Politiker wieder zurückgewinnen kann.

Der neue Parlamentspräsident, Martin Schulz, will sich mehr als seine Vorgänger in das tagespolitische Geschehen einmischen und beharrt darauf, auch bei den Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone dabei zu sein. Heißen Sie das gut?

Es darf überhaupt nichts ohne das Europäische Parlament geschehen. Die Demokratie in Europa kann nur in Zusammenarbeit von Länderkammer und Bürgerkammer weiterentwickelt werden. Daher soll es so wenig Gremien wie möglich geben, bei denen nur Teile der EU am Tisch sitzen. Jetzt haben wir eine Tendenz der Spaltung. Die Christdemokraten wollen, dass alle Mitglieder der EU Mitglieder der Eurozone werden können. Auch beim Fiskalpakt ist entscheidend: keine Umsetzung der Beschlüsse ohne Mitwirkung des Parlaments. Es muss eine zeitliche Limitierung für die jetzige Notlösung geben. Und wir müssen einen Konvent zur Überführung der Maßnahme in Gemeinschaftsrecht vorbereiten. Das sind die entscheidenden Punkte, nicht die Gipfelphilosophie. Es muss klar sein, dass der Bürger bei Entscheidungen am Tisch sitzt, und der Bürger wird durch die Abgeordneten vertreten.

Wie sieht die langfristige Krisenlösung aus Ihrer Sicht aus?

Die Krise müssen wir täglich bewältigen und dürfen nicht warten. Nur die Tat schafft Glaubwürdigkeit. Wir bekommen derzeit die Rechnung für Versäumnisse der Vergangenheit aufgetischt. Diese Lücke müssen wir schließen. Das ist nur möglich, wenn wir Instrumente der Wirtschafts- und Sozialpolitik vergemeinschaften, die zu einer Währungsunion und einem gemeinsamen Markt gehören. Der erste Schritt ist daher eine Wirtschafts- und Sozialunion, der zweite Schritt eine politische Union. Das Projekt Europa muss als Vereinigte Staaten von Europa gedacht werden, was aber nicht heißt, dass wir wie die USA werden wollen. Wir sind kein Staat, sondern bestehen aus souveränen Nationalstaaten. Wenn wir in der Globalisierung eine Rolle spielen wollen, müssen wir mehr zusammenarbeiten und eine klare demokratische Legitimierungsstruktur haben.

Auf einen Blick

ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas wurde am Mittwochvormittag bei der Sitzung des EU-Parlaments in Straßburg zu einem der 14 Vizepräsidenten gewählt. Es ist dies die bisher ranghöchste Position eines Österreichers im Europaparlament. Bei der internen Reihung der 14 Kandidaten kam Karas im dritten Wahlgang auf Platz sieben. [Clemens Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2012)

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