Die Hunde des Dr. Freud

Sigmund Freud verwaltete sein öffentliches Image sorgsam. Und so wie auf dem Bild von Hans Casparius zeigte er sich sonst nie vor der Kamera: als Privatmann, zusammen mit seinen beiden Hunden. Wie kam es zu dieser Inszenierung? Und wer ist der Fotograf? Eine Recherche.

Die Begegnung findet im Frühsommer 1933 statt. Der Fotograf, er ist angemeldet, besucht Sigmund Freud in der Berggasse. Er ist überrascht, als er vom recht kamerascheuen Arzt sofort einen Termin bekommt. Er tritt ein, plaudert mit Freud über seine Arbeit als Fotograf, zeigt ihm einige ältere Aufnahmen, die er mitgebracht hat. Dann tauchen Freuds Hunde auf, zwei Chow-Chows. Der Fotograf spielt ein wenig mit ihnen. Und er beginnt mit der Arbeit.

Die Fotos, die an diesem Tag entstehen, gehören zu den wenig bekannten Aufnahmen Freuds. Auf einem der Bilder steht der Gründer der Psychoanalyse, von Alter und Krankheit schon deutlich gezeichnet, mit hängenden Armen in der Tür zum kleinen Balkon. Im Vordergrund, am Boden liegend, haben es sich seine zwei Hunde gemütlich gemacht. Sigmund Freud hat üblicherweise feste Vorstellungen darüber, wie er fotografiert werden will. So zeigt er sich sonst nie vor der Kamera: quasi als Privatmann, im Freien, zusammen mit seinen beiden Hunden. Wenn er klassische Porträts braucht, sucht er bekannte Wiener Atelierfotografen auf, andere Aufnahmen zeigen ihn in seinem Arbeitszimmer – oder im Urlaub.

Freud verwaltet sein öffentliches Image gut und sorgsam. Das gilt auch für die Fotografie. Warum zeigt er sich hier in einer für ihn ungewohnten Inszenierung? Und wer ist der Fotograf? Weshalb hat er das Foto aufgenommen? Und überhaupt: Welche Umstände haben die beiden Männer, die unterschiedlicher nicht sein können, wohl zusammengeführt? Immerhin, so berichtet Hans Casparius Jahrzehnte später, habe er Freud mehrmals besucht und immer wieder fotografiert. Er habe sich auf Anhieb mit Freud verstanden, weil er dessen Hunde ernst genommen habe. Aber war es das allein, was ihm die Tür in der Berggasse öffnete?

Als ich das Freud-Foto zum ersten Mal sah, war mir der Name des Fotografen zwar geläufig, doch viel wusste ich nicht über ihn. Hans Casparius, geboren 1900 in Berlin, lebte in den 1930er-Jahren als Presse- und Reisefotograf etliche Jahre in Wien. Dann ging er nach England. Ich begann zu recherchieren – nach und nach kam hinter den Bildern eine Persönlichkeit zum Vorschein, schillernd, brüchig, faszinierend. Aber auch das Foto von Freud, das Casparius 1933 aufgenommen hatte, erhielt allmählich eine Geschichte. Es ist, wenn wir es genauer betrachten, ein spannendes Dokument zur öffentlichen Freud-Wahrnehmung in den 1930er-Jahren. Mehrmals wird es veröffentlicht. Und immer wieder wirft es ein ganz neues Licht auf die Gründungsfigur der Psychoanalyse. Die kurze Begegnung zwischen Freud und Casparius in der Berggasse hat also Spuren hinterlassen, ich will ihnen hier ein Stück weit folgen.

Fluchtwege aus dem Alltag

Hans Casparius hätte in seiner Heimatstadt Berlin ein gut gesichertes, gutbürgerliches Leben führen können. Sein Vater, ein wohlhabender Textilhändler jüdischer Herkunft, will, dass der Sohn in das väterliche Unternehmen eintritt. Aber es kommt anders. Nach kurzer Lehrzeit im kaufmännischen Leben verweigert der Sohn die Fußstapfen seines Vaters. Casparius sucht Fluchtwege aus dem festgefügten bürgerlichen Alltag – und findet sie in der Berliner Künstlerszene der 1920er-Jahre. Er treibt sich im Nachtleben herum und wird Filmschauspieler. In mehreren Filmen, etwa in der „Weißen Hölle vom Piz Palü“ (Regie: Arnold Fanck), im „Tagebuch einer Verlorenen“ (Regie: G. W. Pabst) und in der „Büchse der Pandora“ (Regie: G. W. Pabst), tritt er in Nebenrollen auf. Mit G. W. Pabst freundet er sich an. Neben der Schauspielerei fotografiert er am Filmset. Bald hat er mit diesen Aufnahmen kommerziellen Erfolg. Auf Dauer hält es ihn nicht in Berlin. 1930 hängt er die Schauspielerei an den Nagel und unternimmt mit dem Wiener Arnold Höllriegel (Richard A. Bermann), dem Korrespondenten des „Berliner Tageblatts“, den er ebenfalls in Berlin kennengelernt hat, eine dreimonatige Afrikareise, von der er 2500 Abzüge mitbringt, die er nach und nach vermarktet. Höllriegel ist es auch, der Casparius 1932 in Wien Arbeit als Pressefotograf und Fotoarchivar für eine neu gegründete Zeitschrift verschafft. Einige Jahre wird Casparius in Wien bleiben. Die Stadt ist für ihn ein Stützpunkt, immer wieder aber bricht er aus dem Arbeitsalltag aus und geht, meist zusammen mit Höllriegel, auf längere Reisen.

Das unstete Leben, das Unterwegssein, liegt Casparius. 1931 bereisen die beiden Kanada. Anfang 1933 begleiten Casparius und Höllriegel Ladislaus Almásy auf seiner Expedition in die libysche Wüste auf der Suche nach der sagenumwobenen Oase Zarzura. Ein Jahr später bereist Casparius allein Palästina und gestaltet mit den Aufnahmen, die er mitbringt, das „Palästina-Bilder-Buch“, einen Fotoband, der im selben Jahr erscheint.

Die Freud-Fotos entstehen nach der Rückkehr aus Libyen. Aus eigenen Stücken wäre Casparius vielleicht nicht auf die Idee gekommen, in die Berggasse zu gehen. Die Idee dazu kommt aus London. Die Redaktion der 1927 gegründeten Avantgarde-Filmzeitschrift „Close up“ beauftragt ihn, Fotos von Sigmund Freud für das monatlich erscheinende Magazin zu machen. Der Fotograf hatte Ende der 1920er-Jahre Kontakt zu der Londoner Zeitschrift geknüpft, die eine Reihe seiner Szenen- und Setfotos, vor allem von Pabst-Filmen, veröffentlichte. „Close up“ war ein innovatives, international ausgerichtetes Forum, das der sowjetischen Avantgarde ebenso Platz einräumte wie dem innovativen deutschen Film der 1920er-Jahre. In theoretischer Hinsicht war die Zeitschrift offen. Die Montagetheorie Sergej Eisensteins kam ebenso zu Wort wie der Marxismus in der Prägung der Frankfurter Schule und eben – die Psychoanalyse.

Der Auftrag, Freud zu fotografieren, kam, so erinnert sich Casparius Jahre später, von Kenneth Macpherson und Oswell Blakeston, die beide in der Redaktion von „Close up“ arbeiteten. Vermutlich stammte aber die entscheidende Anregung von der amerikanischen Schriftstellerin Hilda Doolittle, die schon seit Langem Freuds Theorien verfolgte und am 1. März 1933 eine Analyse bei ihm begann. Doolittle war, zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Bryher (Annie Winifred Ellerman) und Macpherson, mit dem sie ebenfalls ein Verhältnis unterhielt, an der Gründung der Filmzeitschrift beteiligt und schrieb regelmäßig Beiträge für das Magazin. Genau zu der Zeit, als Doolittle bei Freud in Analyse ist, entsteht Casparius' Aufnahme. Dieser ist von Freud fasziniert. Einblicke in dessen Lehre habe er, so erzählt er später, bereits Mitte der 1920er-Jahre gewonnen, als er über G. W. Pabst die Psychoanalytiker Karl Abraham und Hanns Sachs näher kennenlernte, die den Regisseur bei seinem Film „Geheimnisse einer Seele“ (1926) beraten haben.

Casparius schickt die bestellten Aufnahmen nach London, nebenher versucht er die Bilder auch in der Wiener Presse unterzubringen. Ende Mai 1935 erscheint das Foto von Freud mit den beiden Hunden in der illustrierten Zeitschrift „Die Bühne“. Der Anlass ist diesmal nicht eine Hommage an den Intellektuellen Freud, vielmehr wird der Blick des Publikums an Freud vorbei gerichtet: Im Zentrum stehen diesmal dessen beiden Hunde. Die Seite, die unter dem Titel „Professor Sigmund Freud und seine Chows“ steht, erscheint anlässlich einer großen Hundeausstellung in Wien.

Zwei Jahre später, im Mai 1936, bringt die Wochenzeitung „Wiener Bilder“ die Freud-Aufnahme ein weiteres Mal, und zwar in großer Aufmachung auf der Titelseite. Der Anlass diesmal: Freuds 80. Geburtstag, den dieser am 6. Mai 1936 feiert. Casparius, der Fotograf, ist nicht genannt, und auch zu Freud selbst verliert das Blatt keine weitere Zeile. Freud ist inzwischen eine Wiener Persönlichkeit, um die man nicht herumkommt. Seine Lehre aber bleibt umstritten. Als das Foto von Freud Mitte Jänner 1939 ein weiteres Mal in den „Wiener Bildern“ erscheint, haben sich die politischen Begleitumstände radikal verändert. Die Zeitung, inzwischen ganz auf nationalsozialistische Parteilinie gebracht, führt nun auf der Titelseite Sigmund Freud als Inbegriff des verruchten Juden vor. Als Illustration dient wiederum die Aufnahme von Hans Casparius. Darunter heißt es: „Der ,Wissenschaftler‘ Siegmund (sic!) Freud erfand die Psychoanalyse, nach der der Sexualtrieb der Motor für die gesamte menschliche Lebensentfaltung sein sollte. Diese Pseudo-Wissenschaft wurde damals von der gesamten Judenpresse als wissenschaftliche Großtat aufgezogen.“

Wiener Juden diffamiert

Im Innenteil werden unter der Schlagzeile „Auf den Spuren Ahasvers“ weitere Wiener Juden in Text und Bild diffamiert, unter anderem Franz Werfel, Ernst Lubitsch, Richard Tauber, Oscar Straus. Dazu heißt es: „Wir beginnen in dieser Nummer mit dem Abdruck einer Reihe aktueller Tatsachenberichte über das wahre Gesicht des Judentums. Der Jude ist und bleibt in jeder Lage und jeder Maskierung ganz ausschließlich Jude.“ Der Text schließt mit den Worten: „Die machtvolle Volkserhebung der Märztage 1938 fegte die Judensöldlinge hinweg und wies das Judentum als Fremdkörper im deutschen Volke in die ihm gebührenden Schranken. Jetzt erst konnte daran gegangen werden, alte Sünden wieder gutzumachen, und die Kulturträger der Ostmark, hinter denen jahrelang die widerliche Fratze des Weltjudentums geisterte, ihrer wahren Bestimmung zuzuführen.“

Sigmund Freud lebt, als dieser Hassartikel erscheint, bereits in London. Er ist am 4.Juni 1938 aus Wien geflüchtet. Wenige Monate später, im Herbst 1939, stirbt er. Und Hans Casparius? Auch er hat Wien längst verlassen. Seit 1935 lebt er, zusammen mit seiner Frau Monika, die er in Wien kennengelernt und geheiratet hat, ebenfalls in London. Er arbeitet weiterhin als Zeitschriftenfotograf, später spezialisiert er sich auf Werbung. Er stirbt 1986. Sigmund Freud und Hans Casparius verschlägt es, wie viele deutschsprachige Emigranten, in den Bezirk Hampstead im Norden Londons. Ich gebe die beiden Adressen, 20 Maresfield Gardens, wo Freud 1938/39 lebt, und 10 Tanza Road, wo Casparius noch 43 Jahre lang zu Hause ist, bei Google Maps ein. Das Ergebnis: Die Distanz zwischen beiden Häusern beträgt keine zwei Kilometer. Ob sich die beiden in London noch einmal begegnet sind, frage ich mich. Zufällig stoße ich auf einen Hinweis, der darauf hindeutet. Im Frühsommer 1939 gelingt dem Wiener Journalisten Richard A. Bermann alias Arnold Höllriegel die Flucht nach London. Bevor er in die USA weiterreist, kommt er im Juni und Juli bei seinem Freund Casparius unter. Mehrmals besucht er Sigmund Freud. Gut denkbar, dass ihn das eine oder andere Mal der Fotograf begleitet hat. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2012)

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