Der Kunde wird immer mehr zum Studienobjekt. Eine Software aus Österreich analysiert, mithilfe von Überwachungskameras, ob und wo im Geschäft die Besucher tatsächlich etwas kaufen.
Der Wettbewerb im Einzelhandel ist hart. Kunden müssen nicht nur ins Geschäft gelockt, sondern auch zum Kauf animiert werden. Mithilfe von Überwachungskameras und einer aus Österreich stammenden Software können Geschäftsinhaber feststellen, ob sich die Anzahl der Besucher auch tatsächlich in den Umsätzen widerspiegelt und wo personelle oder strukturelle Maßnahmen den Verkaufserfolg verbessern könnten. Der Benetton-Shop in der Wiener Kärntner Straße ist eines der ersten Unternehmen, das dieses neue Verfahren zur Einkaufsanalyse nutzt.
Gerade zu Spitzenzeiten wie im Winterschlussverkauf herrscht in Kaufhäusern und Boutiquen ein unüberschaubares Gedränge. Stellt sich jedoch die Frage, ob all diese Leute auch wirklich etwas kaufen oder ob sie sich nur im Laden umschauen und dann unverrichteter Dinge das Weite suchen. „Um in der Textilbranche von einem Geschäftserfolg sprechen zu können, müssen von hundert Personen, die das Geschäft betreten, mindestens zwanzig einen Einkauf tätigen“, weiß Marc Wieser, Geschäftsführer der Wiener Benetton-Megastores. Ist diese sogenannte Conversion Rate niedriger, kann man davon ausgehen, dass in besagter Filiale irgendetwas schiefläuft, sei es, dass die Ware nicht ansprechend genug präsentiert wird, dass die Verkäufer zu träge oder überfordert sind oder dass die falschen Produkte prominent platziert werden. Keiner dieser Punkte ist für den Leiter einer Niederlassung besonders ehrenhaft, sodass die Besucherfrequenzen oftmals zu niedrig angegeben werden, um offiziell über die magischen 20 Prozent zu kommen.
Mit solchen Tricks soll nun Schluss sein: Das auf Videoüberwachung spezialisierte, in Wien ansässige Unternehmen Netavis entwickelte eine Lösung, bei der die ohnehin in den Läden vorhandenen Überwachungskameras auch zur Analyse der Personenbewegungen innerhalb des Ladens genutzt werden können.
Die Daten, die daraus abgeleitet werden, sind objektiv und unverfälschbar. Diese Informationen über die Besucherzahlen werden automatisch mit der ERP-Software des Geschäfts verglichen, und sollte die Conversion Rate in einer Filiale unter die kritische Marke sinken, kann die Geschäftsführung benachrichtigt werden, um dann das Problem genauer unter die Lupe zu nehmen.
Kunden nicht individuell verfolgt
Aus Datenschutzgründen dürfen zwar nicht einzelne Personen identifiziert und virtuell verfolgt werden (obwohl dies technisch durchaus machbar wäre), dennoch lässt sich mit der Software auf einen Blick erkennen, wie viele Leute das Geschäft betreten, welche Stockwerke und Abteilungen sie besuchen, und wie lange die Kunden an bestimmten Punkten verharren. Über einfache Farbdarstellungen kann der Geschäftsführer auf seinem PC, Tablet oder auch via Smartphone erkennen, welche Teile des Ladens stark frequentiert sind und in welche Ecken sich nur wenige bis gar keine Käufer verirren.
Welche Konsequenzen ein Geschäftsinhaber aus den Informationen, die das Überwachungssystem liefert, zieht, bleibt freilich ihm selbst überlassen.
Naheliegend wäre etwa, zu Zeiten, in denen kaum Besucher in den Laden kommen, das Personal zu reduzieren, und dafür zu Spitzenzeiten mehr Verkäufer einzusetzen.
Werbetafel analysiert Betrachter
Und die Entwicklung solcher Systeme ist noch lange nicht abgeschlossen. Demnächst, so schildert Netavis-Chef Wolfgang Baumgartner, soll die Software auch imstande sein, Alter und Geschlecht der Personen vor der Kamera automatisch abzuschätzen und so eine noch genauere Kundenanalyse zu ermöglichen.
Solche Ansätze werden anderswo bereits verfolgt. Unternehmen wie Intel oder Samsung arbeiten an Werbedisplays, die mittels im Schaufenster oder am Point of Sale integrierter Kamera selbstständig erkennen, ob sich Erwachsene oder Kinder, beziehungsweise Männer oder Frauen vor dem Bildschirm aufhalten, und dementsprechend eine auf die aktuelle Zielgruppe zugeschnittene Werbung zeigen.
In Japan läuft schon seit einiger Zeit ein Testprojekt der Eisenbahngesellschaften auf mehreren Bahnhöfen im Raum Tokio, bei denen eine Kamera das Geschlecht und ungefähre Alter der Personen, die auf den Bildschirm schauen, ermittelt und in Sekundenschnelle die passende Werbebotschaft auf das Display bringt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2012)