Die Erben der Hildegard Burjan

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Ihre Gründerin ist ab Sonntag offiziell eine Selige: Die Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis (CS) hofft, vom Interesse an Hildegard Burjan zu profitieren. Im Pflegebereich ist die CS ein wichtiger Player.

Ihr Vater sagte damals das, was besorgte Eltern immer tun: „Du kannst jederzeit nach Hause kommen.“ Ihre Freunde waren überhaupt sprachlos. Als Sieglinde Ruthner mit 23 Jahren beschloss, Nonne zu werden, ihr weltliches Leben als angehende Mathematik- und Musiklehrerin aufgab und in die Wiener Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis (CS) eintrat.

Nach Hause zurückgekehrt ist Ruthner nicht, auch wenn es, wie sie sagt, „viele Zweifel und Krisen“ gab, ob „das“ das Richtige für sie sei. Ihr Zuhause ist längst die Schwesterngemeinschaft. Hier, im neunten Bezirk, hat Hildegard Burjan, die heute seliggesprochen wird (siehe Artikel unten), 1919 die Caritas Socialis gegründet. An ein Kloster erinnert der moderne Bau mit seinen Linoleumböden und Neonröhren so gar nicht. Eher an ein Spital. Ein Eindruck, der so falsch nicht ist: Denn im selben Gebäude sind auch mehrere Pflegeeinrichtungen der CS untergebracht.

Noch mehr aus dem gängigen Klischee fallen aber die Schwestern selbst: Nur einige ältere Schwestern tragen die typische Nonnentracht. Vorgesehen war der Habit von Burjan nämlich nicht: Um keine (symbolische) Distanz zwischen den kirchlichen und weltlichen Mitarbeitern (die es von Anfang an gab) der Caritas Socialis zu schaffen, sollten die Schwestern einfach, aber weltlich gekleidet sein. Die einzige „Uniform“ sind eine Silberkette mit den Initialen „CS“ und ein Ring der ersten Lebensweihe.

Mit 52 Jahren ist Ruthner eine der jüngsten Schwestern der CS. Wie andere Orden hat auch die CS ein Nachwuchsproblem: 900 weltlichen Mitarbeitern (300 davon ehrenamtlich) stehen heute nur noch 83 Schwestern gegenüber. 65 leben in Wien, der Rest im Ausland. Vor allem Brasilien sei ein großer Hoffnungsmarkt für Nachwuchs, sagt Ruthner. „In Österreich haben wir keine jungen Schwestern mehr.“ Um die Soziale Arbeit, die Hilfe für Alte und Randgruppen im Sinne Burjans trotz Nachwuchsproblems weiterführen zu können, wurden die CS Pflege- und Sozialzentren 2003 in eine gemeinnützige Privatstiftung ausgelagert.

Die erhöhte Aufmerksamkeit, die die CS durch die Seligsprechung Burjans bekommt, sieht Ruthner als Chance: Sie hofft, dass Frauen, die von Burjans Schaffen erfahren, in den Orden eintreten könnten. Zudem würden nun auch die Leistungen der CS bekannter. „Bis jetzt werden wir ja oft nur mit Hospizarbeit verbunden.“ Zweifellos ist das CS Hospiz Rennweg, in dem jedes Jahr etwa 250 kranke Menschen im Sterbeprozess begleitet werden, die bekannteste Einrichtung. Generell ist die Altenpflege eine der größten Aufgaben, der sich die CS verschrieben hat: Neben drei Pflege- und Sozialzentren in Wien bietet die CS-Stiftung – die Mitarbeiter müssen nicht gläubig sein, sich aber zu den Ideen Burjans bekennen – auch mobile Pflege daheim an.

Stolz auf Pionierarbeit. Zudem gibt es zwei Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz im Frühstadium – ein Pionierprojekt in Wien, eines von mehreren, wie man in der CS gern betont. Auch das von Burjan bereits 1923 gegründete Mutter-Kind-Heim war einst das erste in Wien. „Das war damals ein Riesending“, sagt Ruthner, die das Heim heute leitet, in dem 16 Frauen mit ihren Kindern unterkommen. Der Widerstand, der Burjan auch innerhalb der Kirche bei der Gründung entgegenschlug, war enorm. In einer Zeit, als es als undenkbar galt, dass Frauen ihre (gewalttätigen) Männer verlassen, „hat man Burjan vorgeworfen, sie fördere die Unmoral“.

Weiters führt die CS ein „Multiple Sklerose Tageszentrum“, außerdem mehrere Kindergärten und Horte. Mit dem „Roten Anker“ hat man weiters eine Einrichtung, in der Kinder psychologisch betreut werden, deren Angehörige schwer krank oder verstorben sind.

Keine Frage, Schwester Ruthner hätte jederzeit zurück nach Hause gehen können. Stattdessen trägt sie seit über zwei Jahrzehnten „Hildegard Burjans Ideen in die Welt“. Weniger pathetisch formuliert: Sie hilft. Auch wenn sie sich nur zögerlich in der Kapelle fotografieren lässt („Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass wir jemanden missionieren wollen“), sind der Glaube, die Gebete wichtige Teile ihres Lebens. „Sonst“, sagt sie, „hätte ich ja gleich Sozialarbeiterin werden können.“

Zur Person

1883
wird Hildegard Burjan (Mädchenname: Freund) in Görlitz (D) in eine jüdische Familie geboren.

1909
konvertiert sie nach schwerer Krankheit zum katholischen Glauben.

1919
gründet sie die Caritas Socialis, im selben Jahr wird sie ins Parlament gewählt.

1933
stirbt Burjan in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2012)

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