Rezession: Europa geht das Geld aus

Großbritanniens Premier, David Cameron, und Deutschlands Kanzlerin, Angela Merkel, in Brüssel.
Großbritanniens Premier, David Cameron, und Deutschlands Kanzlerin, Angela Merkel, in Brüssel. (c) REUTERS (Yves Herman)
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23 Millionen Europäer sind arbeitslos, Griechenland so nahe am Bankrott wie noch nie seit Beginn der Schuldenkrise. Doch für große neue Rettungs- und Konjunkturpakete fehlen der EU die Mittel.

[BRÜSSEL/WIEN] „Wir müssen mehr tun, um Europa aus der Krise zu bekommen. Mehr als 23 Millionen Menschen sind heute in Europa arbeitslos. Solange wir unsere Wachstumsraten nicht verbessern, wird die Arbeitslosigkeit hoch bleiben."

So sprechen Europas Staats- und Regierungschefs in ihrer Schlusserklärung zum informellen Europäischen Rat in Brüssel. Wer aber erwartet, dass dieser Feststellung die Ankündigung milliardenschwerer Ausgaben zur Belebung der Konjunktur folgt, ist falsch gewickelt. Die Europäer haben ihr Pulver für Konjunkturpakete bereits in der jüngsten Rezession im Jahr 2009 verschossen. Sie haben zudem seit 2008 bis heute rund 4,6 Billionen Euro an Krediten, Beihilfen und Garantien dafür bereitgestellt, ihre Banken am Leben zu erhalten. Zudem verpflichten sie sich mit dem neuen Fiskalpakt dazu, dass ihre Budgets ausgeglichen oder im Überschuss sein müssen. Und über alldem schwebt das Damoklesschwert eines Bankrotts Griechenlands, der näher scheint als je zuvor: Ohne Reformen „gibt es gar keine Summe Geld, die das Problem lösen kann", warnte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble im „Wall Street Journal Deutschland".

Egal also, ob man es für angebracht hält, die Rezession nun mit Konjunkturprogrammen zu bekämpfen, oder ob man das strikt ablehnt: Das Geld dafür haben die Europäer so oder so nicht.

Posse um das EU-Patentgericht

Und so beschränken sich die politischen Lösungsversuche der Europäer auf zweierlei: Eine Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen und die Suche nach bisher unausgeschöpften Geldtöpfen.

Ersteres gleicht einem ordnungspolitischen Brüsseler Mantra. Fast auf den Tag genau zwei Jahrzehnte nach der Schaffung der rechtlichen Grundlagen für den gemeinsamen Binnenmarkt will man nun in einem Aufwaschen all die kleinen Protektionismen, die lähmende Benachteiligung ausländischer Unternehmer und den bürokratischen Ballast beiseite wischen. Bis Juni, liest man in der Schlusserklärung der Chefs, wolle man den rechtlichen Rahmen für den elektronischen Handel verbessern, Vorschriften für die Standardisierung von Produkten und die Energieeffizienz vereinfachen und zudem die Mobilität der europäischen Arbeitnehmer mit Förderungen aus dem Europäischen Sozialfonds steigern.

Die politische Realität sieht freilich anders aus. Ein besonders trauriger Fall ist das gemeinsame EU-Patent, an dem man vier Jahrzehnte lange herumgedoktert hat. Nun haben sich mit Ausnahme Spaniens und Italiens alle EU-Länder auf einen einheitlichen Schutz von Erfindungen geeinigt - doch weil Großbritannien, Deutschland und Frankreich um den Sitz des Patentgerichts streiten, müssen Europas innovative Unternehmen weiterhin das Mehrfache dessen für ihren Rechtsschutz zahlen, was ihre US-Konkurrenz für die Patentanmeldung ausgibt.

Die Mär vom ungenutzten Geld

Ebenso problematisch ist die Vorstellung, man könne in den unzähligen Fördertöpfen der EU noch große Summen bergen. Zwar liegen in den Regionalfördertöpfen von Kommissar Johannes Hahn für heuer und 2013 beachtliche 82 Milliarden Euro an Mitteln, für welche die Mitgliedstaaten noch nicht einmal förderungswürdige Projekte eingereicht haben. Bloß sind diese Mittel an die Bedingung geknüpft, dass die Mitgliedstaaten einen gewissen Anteil aus eigener Kraft „kofinanzieren" müssen. Doch genau dafür fehlt den klammen Staaten das Geld - und den Griechen erst recht: Sie müssen mittlerweile gar nur fünf Prozent selber beisteuern. Doch selbst das scheint kaum zu helfen.

Und selbst wenn die Europäer nun Konjunkturprogramme schnüren könnten und wollten, bestünde die Gefahr, dass diese zu spät kommen. Siehe Europas Reaktion auf die letzte Rezession: Erst gegen Ende 2008, nach der Pleite der Großbank Lehman Brothers, drängte die Europäische Kommission zu einem Konjunkturpaket in der Höhe von 200 Milliarden Euro, verteilt über die Jahre 2009 und 2010. 170 Milliarden Euro davon sollten von den Mitgliedstaaten kommen, 30 Milliarden aus dem EU-Budget und der Europäischen Investitionsbank (EIB). Die Kommission wollte dazu - wie heute - ungenützte Mittel umschichten und Strukturfondsgelder vorziehen. Im ersten Halbjahr 2009 verzeichnete übrigens Österreich mit 1,8 Prozent des BIPs das zweitgrößte Konjunkturprogramm der EU - nach Spanien, das mit 2,3 Prozent Spitzenreiter war.

Die Staatsschuldenkrise zwang die Staaten im Herbst 2009 schon wieder zum Sparen - und die Konjunkturprogramme entfalteten ihre Wirkung erst im Jahr 2010, als die Rezession bereits überdauert war.

Kampf der Jugendarbeitslosigkeit

Nun soll vor allem die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft werden. Die EU-Kommission will in Kürze „Aktionsteams“ entsenden, die vor allem in den acht EU-Staaten mit der höchsten Jugendarbeitslosigkeit dafür sorgen sollen, dass vorhandenes Geld auch wirklich ausgegeben wird. Derzeit sind in den Strukturfonds noch 82 Milliarden Euro vorhanden, die bisher nicht für konkrete Projekte vorgesehen sind. Betont wird dabei, es handele sich ausdrücklich nicht um ein neues Konjunkturprogramm.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2012)

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