Das Glaskinn gehört zu Straches Uniform

Der FPÖ-Chef sieht sich als verfolgten Juden, Medien berichten empört-fasziniert, Heinz Fischer entzieht einen Orden. Nun droht die Wiederholung der FPÖ-Geschichte.

Um hier einmal Karl Marx zu zitieren (und ihn gleich zu widerlegen): In seinem nicht übertrieben spannenden „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ verbesserte er Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der bemerkt hatte, dass sich historische Tatsachen und Personen immer zweimal ereignen. „Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“ Was aber, wenn bereits die angebliche Tragödie eine Farce war, wie Jörg Haiders Aufstieg und politischer Fall? Folgt dann die Tragödie in Gestalt Heinz-Christian Straches, der am Opernball der Rechts-außen-Szene Hof hielt, dort sich und seine Gesinnungsgenossen offenbar als die neuen Juden bezeichnete? Und der die lautstarken und sicher nicht liebevoll-harmlosen Proteste gegen den Ball und seine Teilnehmer mit der Reichskristallnacht verglich? Übrigens als ein Mitarbeiter einer seriösen Tageszeitung Strache um ein Autogramm bat, um sich so unerkannt wilde Strache-Sager abzuholen. Was zeigt, was Journalisten so alles machen, um Straches Rülpser zu hören, und wie leichtgläubig der FPÖ-Chef ist, wenn ihm jemand Zustimmung vorgaukelt. Ist das nicht alles eine Farce? Ganz sicher. Und zur Ehrenrettung Hegels: In der österreichischen Innenpolitik gab und gibt es aber ohnehin „keine großen weltgeschichtlichen Personen“, die der Philosoph gemeint hatte.

Also kann man das lächerlich-dümmlich finden und ignorieren? Nein, man muss Heinz-Christian Strache leider wirklich Inhaltliches entgegenhalten, nur so erkennt er seine Paranoia: Der Vergleich ist besonders geschmacklos, wenn er aus dem Mund eines Politikers kommt, der ein Problem damit hat, Deserteure der Wehrmacht positiv und 1945 als Jahr der Befreiung zu sehen. Nur zur Erinnerung: Weder Freiheitliche noch Schlagende noch andere Ballbesucher wie Frau Le Pen werden physisch verfolgt, beraubt, geschlagen, gequält und ermordet wie die Opfer des Holocaust in Mitteleuropa und auch auf dem Gebiet des heutigen Österreichs. Straches behauptete Opfergemeinschaft hat nur die Meinung vieler Bürger und Medien gegen sich und muss sich von Demonstranten am Abend des Jahrestags der Auschwitz-Befreiung beschimpfen lassen. Es ist interessant, dass das Glaskinn zur Uniform des Korpskämpfers gehört.

Es ist nicht ganz unlogisch, dass Heinz Fischer den Orden, den Strache aufgrund seines Sitzfleischs auf der Oppositionsbank automatisch erhalten sollte, verweigert. Fischer rasselt damit kurz mit der Kette, was man ihm kaum zugetraut hätte: Der Präsident wird Strache als Kanzler oder Regierungsmitglied aus heutiger Sicht wohl nicht angeloben. Allerdings schafft er auch einen Präzedenzfall: Ab sofort muss Fischer konsequenterweise genau hinschauen und darf Orden nicht mehr automatisch an mehr oder weniger lange gediente Politiker vergeben – etwa weil sie einen Generalstabschef widerrechtlich ablösen oder einfach ungeniert Geld ausgeben, das sie und der Staat nicht mehr haben.

Nach dem kurzen Aufheulen der sonst überraschend leisen Zivilgesellschaft und des zeremoniellen Widerstands in der Hofburg stellt sich die Frage, wie es nun weitergeht mit der FPÖ-Geschichtswiederholung: Journalisten werden nach dem Ball-Vorfall vor allem weiter Jagd auf braune Sager machen statt etwa die schwierigere Suche nach den inhaltlichen Positionen der Partei voranzutreiben. Die warnenden Magazincover mit Quotengarantie sind ihm sicher. Strache selbst kann sich – obwohl in Umfragen in Nähe von SPÖ und ÖVP – noch stärker als Underdog präsentieren: Sogar der harmlose Heinz Fischer, der gegen niemanden was hat, ist gemein zu ihm. Um kurz auf der innenpolitischen Kleingeld-Ebene zu bleiben: Der Eklat hilft auch der SPÖ. Die schnelle Distanz-Deklaration zu Strache fällt Werner Faymann sicher leichter als das Schnüren eines echten Sparpakets und die dafür notwendige Überzeugungsarbeit bei Gewerkschaften und Arbeiterkammer.

Und dennoch: Strache, der aufgrund der Schwäche der aktuell Regierenden in Richtung (Vize)-Kanzleramt unterwegs war, muss sich eingestehen: Der Versuch, sich gerade angesichts massiver Vorwürfe politisch verantwortungsvoll, bedacht, schlicht staatstragend zu geben, ist gescheitert. Weil er es offenbar einfach nicht ist.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2012)

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