Muzicant-Nachfolge: 'Jüdisches Leben mehr als Gedenken'

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Martin Engelberg tritt mit der Liste "Jüdisches Leben" für die Nachfolge Ariel Muzicants in der Kultusgemeinde an. Im Gespräch wünscht er sich, das die Gemeinde ein stärkeres Zuhause für die Juden Wiens wird.

Die Presse: Sie kandidieren im Herbst für die Nachfolge Ariel Muzicants als Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, obwohl der Ossi Deutsch als Wunschnachfolger aufbaut. Das heißt, Sie wollen eine klare Veränderung zur Ära Muzicant?

Martin Engelberg: Wir wollen, dass die Gemeinde stärkeres Zuhause für die Juden Wiens wird. Es gab die erste Generation nach der Shoa, von der nicht klar war, ob sie hier bleiben wird. Die sozusagen auf den Koffern saß. Es gab eine zweite Generation, die mit Paul Grosz und Ariel Muzicant begonnen hat, jüdische Infrastruktur aufzubauen.

Die etwa dank des Maimonides-Centers groß wurde: Finden Sie das gut?

Es wurde jedenfalls gemacht. Nun ist es Zeit, den dritten Schritt zu tun. Die Kultusgemeinde muss mehr sein als Holding, Administration, die Infrastruktur stellt. Mir wäre es sehr wichtig, das Judentum zu öffnen und mehr jüdische Mitglieder an die Gemeinde heranzuführen.

Muzicant ist stets prononciert und dezidiert aufgetreten, etwa bei den Entschädigungsverhandlungen oder gegenüber der FPÖ. Dessen Vorgänger Paul Grosz war da eher zurückhaltend und um Ausgleich bedacht geblieben. Wie würden Sie das angehen?

Ich würde die beiden nicht trennen. Grosz hat wohl in der Waldheim-Zeit deutliche Worte gesprochen. Damals wurde die Historikerkommission eingesetzt. Damals begannen die Restitutionsverhandlungen. Vom persönlichen Stil her ist Muzicant einen anderen Weg gegangen: offensiver und aggressiver. Von der politischen Ausrichtung war das eine Linie, das ist auch meine. Man kann das aber vielleicht auf sympathische Art tun.

Das ist eine sehr verhaltene Kritik am Stil Muzicants? Ist er zu polemisch?

Muzicant hat ein gutes Gespür dafür gehabt, was Stimmung in der Gemeinde war: Wir haben lange genug geschwiegen und den Kopf eingezogen, nun sollten unsere Ansprüche geltend gemacht werden. Dieser Stimmung hat Muzicant weitgehend entsprochen.

Die Gemeinde liefert sich eine Fehde mit der FPÖ. Würde das Martin Engelberg ebenso machen?

Meine inhaltliche politische Position gegenüber der FPÖ ist die Muzicants. Für mich als Psychoanalytiker nimmt die Auseinandersetzung groteske Züge an: Plötzlich sieht sich die FPÖ als Jude, die Juden sind demnach die Nazis? Wenn es nicht um so tragische geschichtliche Dinge ginge, wäre es fast lächerlich. Das muss zu einem Problem Österreichs und der Gesellschaft werden: Wie geht man mit Politikern um, die so große Probleme mit einer Abgrenzung gegenüber neonazistischer Ideologie haben. Die Kultusgemeinde muss der Politik die Gelegenheit geben, damit angemessen umzugehen, und sich aus dieser direkten Konfrontation vielleicht einen Schritt zurückziehen.

Zurückziehen?

Wir müssen uns klar von einem Gedankengut abgrenzen, das heute in Österreich nichts mehr verloren hat. Das sollte aber nicht ein persönliches Anliegen des Präsidenten der Kultusgemeinde sein.

Sondern der österreichischen Politik?

Der österreichischen Gesellschaft.

Was würden Sie im Fall einer schwarz-blauen Regierung unternehmen?

Auf Distanz gehen. Mit manchen Ministerien muss man als Gemeinde Kontakt halten – aber sicher nicht freundschaftlich. Es ist wichtig, dass ein Präsident einer Gemeinde keine besondere Nähe zu einer Partei hat oder signalisiert.

Die hat Martin Engelberg nicht?

Nein. Ich bin weder Parteimitglied, noch war ich Parteimitglied. Da unterscheide ich mich zu dem, wie es bisher war.

Sie meinen Ariel Muzicant.

Präsident Muzicant ist Mitglied der SPÖ. Für mich ist es immer wichtig, dass ich gute Beziehungen zu vielen Politikern habe – sowohl in der SPÖ, ÖVP und bei den Grünen. Ich war gegen die SPÖ demonstrieren, als sie mit der FPÖ eine Koalition eingegangen war, ich konnte die SPÖ unter Franz Vranitzky unterstützen. Ich war in der Waldheim-Zeit und unter Schwarz-Blau sehr kritisch gegenüber der ÖVP, ich konnte aber mit Parteiobmann Pröll sehr gut. Es geht aber nicht nur um die Beziehung zu Menschen, sondern welche Haltung sie gegenüber der Gemeinde und ihren Anliegen haben.

Es gibt immer noch offene Entschädigungsforderungen in Israel gegenüber der Republik. Ist das ein Thema in der Gemeinde?

Nicht dass ich wüsste. Ich glaube, es ist wichtig, dass die Gemeinde sich zum Aufbau jüdischer Identität bekennt. Was macht Jüdisch-Sein zu Beginn des 21. Jahrhunderts aus? Mittlerweile bildet die dritte und vierte Generation nach der Shoa auch diese Gemeinde. Das Gedenken muss und wird weiter wichtig sein. Aber ob es einen so dominierenden Stellenwert haben muss? Da bin ich der Meinung, dass nein.

Warum?

Weil jüdisches Leben viel mehr sein muss als Gedenken an eine tragische und katastrophale Zeit.

Wenn Martin Engelberg gewinnt, steht der jüdischen Gemeinde Wien ein „First Couple“ vor, Ihre Frau Danielle Spera ist die Direktorin des Jüdischen Museums. Ist das nicht zu viel Macht und Aufmerksamkeit in einer Familie?

In einer Ehe dürfen und sollen beide eine für sie erfolgreiche berufliche Karriere machen. Das jüdische Museum ist eine Einrichtung der Stadt Wien. Die Kultusgemeinde hat wohl eine Zahl an Sitzen im Aufsichtsrat, aber die Abgrenzung ist schnell hergestellt.

Auf einen Blick

Gegenkandidat. Die für November angesetzten Wahlen in der Israelitischen Kultusgemeinde Wien werfen ihre Schatten voraus. Mit dem Psychoanalytiker, Consulter und „Quergeschrieben“-Autor der „Presse“ Martin Engelberg hat sich ein Herausforderer der Liste des amtierenden Präsidenten Ariel Muzicant positioniert. Muzicant selbst tritt nicht mehr an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2012)

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