Ignaz Gridl: Ein Schlossermeister aus Wien . . .

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I(c) FABRY Clemens
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Wie es ein einfacher Handwerker zu genialer Ingenieurskunst brachte. Fast alle Kuppelkonstruktionen der Ringstraßen-Bauten stammen aus seiner Werkstatt.

Die Eisenkonstruktion war im 19. Jahrhundert eine großartige Entdeckung für die Architekten, Baumeister, Statiker, Handwerker der ganzen Welt. So drohte der Erbauer der Freiheitsstatue in New York, Frédéric-Auguste Bartholdi, an den gewaltigen Ausmaßen der Figur zu scheitern. Er wandte sich an seinen Freund Gustave Eiffel, und der fand eine geniale Lösung: Die Innenstruktur der Statue of Liberty ist eine Eisenkonstruktion.

In Altösterreich brachte es ein Mann mit seiner Firma zu einer Alleinstellung, wenn es um Eisenbahnbrücken, um Kuppelkonstruktionen oder Dachbekrönungen während der Ringstraßen-Epoche ging: Es war der Schlossermeister Ignaz Gridl (1825–1890). Egal, ob es sich ums k. u. k. Hofburgtheater handelte oder um das Palmenhaus in Schönbrunn, um die Kuppel über dem Michaelertrakt in der Hofburg oder um das Glasdach des Reichsratsitzungssaals im Parlamentsgebäude – Gridl mit seinen Technikern war stets die erste Adresse.

Marktführer in der Monarchie

Alfred Fogarassy, der in direkter Linie von dem Patriarchen abstammt, hat gemeinsam mit der Fotokünstlerin Nora Schoeller die prächtigsten Schöpfungen von Vater und Sohn Ignaz Gridl und deren Firma dokumentiert, die heute noch Wiens Stadtbild prägen. Es sind die Monumentalbauten an der Wiener Ringstraße, aber die tragenden Konstruktionen müssen natürlich verborgen bleiben. Anders ist das bei den Eisenkonstruktionen im Brückenbau und bei den zahlreichen Gewächshäusern, von denen jenes in Schönbrunn nur ein Beispiel ist.

Aber warum wurde aus einer einfachen Schlosserwerkstatt das führende Konstruktionsunternehmen der Monarchie? Es war das einzigartige Zusammenspiel zweier Männer. Ignaz Gridl besaß als Schlosser das Know-how über das Material, sein Schwiegersohn Sigmund Wagner entwickelte und erprobte als Statiker dessen vielfältige Einsatzmöglichkeiten.

Der Firmenchef hatte seine Tochter zur Heirat mit dem um 18 Jahre älteren Techniker gezwungen, was meistens nicht gut geht. So auch in diesem Fall. Auf der Hochzeitsreise hatte Wagner in Athen noch Geschäftstermine, sperrte seine junge Frau im Hotelzimmer ein und – vergaß auf sie. Bei seiner Rückkehr am Abend hatte die wütende Frau Wagner die Möbel kurz und klein geschlagen. Immerhin entsprangen der turbulenten Ehe drei Kinder, nach zwanzig Jahren wurde die Ehe freilich geschieden.

Selbst dort, wo die Firma „Ig. Gridl“ – selten, aber doch – nicht den Zuschlag erhielt, versuchten die Konkurrenzfirmen, den Marktführer zu kopieren, wie am Salzburger Hauptbahnhof oder dem Palmenhaus im Wiener Burggarten zu sehen ist.

In der Siebenbrunnengasse baute die Firma ständig aus und dazu, errichtete für die Familie ein Palais, führte auf dem weitläufigen Areal eine leistungsstarke Dampfmaschine ein – sie profitierte von dem Konjunkturschub, ausgelöst durch die Schleifung der Basteien und die Prachtbauten entlang der Ringstraße. Dabei blieb Gridl ein Patriarch der alten Schule: Die leitenden Angestellten des riesigen Unternehmens speisten täglich mit der Familie des Besitzers. In einer der Werkstätten arbeitete 1912 ein junger Schlossergehilfe: Josip Broz. Er sollte sich im Zweiten Weltkrieg als jugoslawischer Partisanenführer den Tarnnamen „Tito“ geben.

1933 endete das eigenständige Leben der Firma mit dem Tod des Sohnes Ignaz. Die Firma Waagner-Biró AG übernahm die Produktionsstätten, ein Gridl-Sohn wurde dort Firmenvorstand.

Geblieben sind die Stahlkonstruktionen, wo immer man durch die alten Kronländer der Monarchie reist. Eine besonders komplizierte ist überraschenderweise die Kuppel der Kirche „Maria vom Siege“ in Wien Fünfhaus. Sie ist auch heute noch intakt, auch wenn das Mauerwerk höchst sanierungsbedürftig ist. In hervorragendem Zustand: das Dach des Wiener Rathauses, des Justizpalastes, des Kunsthistorischen Museums, der Kuffner-Sternwarte und des Badener Casinos. 1897 schuf die Firma Gridl mit dem Architekten Maximilian Katscher das Warenhaus des August Herzmansky in der Stiftgasse, danach das Semper-Depot. Beide Bauten beeindrucken auch heute noch durch ihre filigrane Leichtigkeit.

Brücken und Aussichtswarten

Das Volkstheater und die „Burg“, die Universitätsbibliothek und der Dachstuhl der Redoutensäle, die Kuppel über dem Hofburg-Eingang am Michaelerplatz (Skizze), das Grazer Opernhaus – an all diesen imposanten Gebäuden hat diese Firma mitgearbeitet. Ebenso natürlich an den großen Brückenbauten, etwa für die Südbahn, an der Neretva; selbst im k.u.k. Kriegshafen Pola. Und wer die Josefswarte am Föhrenberg bei Perchtoldsdorf besteigt, hat ein originales Gridl-Produkt unter den Füßen. All das kam aus einer Wiener Schlosserei, deren Inhaber sich jede ungebetene Publizität verbeten hatte. Trotz all seiner kaiserlichen Orden, trotz der Erhöhung zum Hoflieferanten gab es für Ignaz Gridl nur eine wirklich hohe Ehre: Innungsmeister des Wiener Schlossergewerbes sein zu dürfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2012)

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