„Cats“: Grizabella ruft wieder „Komm zu mir!“

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Dank einer guten Besetzung in altbekannter Optik lässt es sich wieder zu Lloyd Webbers Musical ungeniert in „Memories“ schwelgen. Bis Mai in einem Festzelt in „Neu-Marx“, Wien-Erdberg.

Es hätte auch ganz anders kommen können. Immerhin ist vor zweieinhalb Jahren von T. S. Eliot noch ein 34 Verse zählendes Gedicht mit dem Titel „Cows“ aufgetaucht. Aber: eine Herde wiederkäuender Paarhufer auf einer Musicalbühne? So hat es wohl doch seine Richtigkeit, dass aus Eliots literarischem Zoo, in dem tierischer Unernst und menschlich-vermenschlichter Tiefsinn so virtuos gemeinsam (ab-)schnurren, nur die Jellicle-Katzen berühmt geworden sind: die charakterstarken, krallenbewehrten und zumeist liebenswerten Individualisten mit dem mal samtigen, mal schon räudigen Fell, verewigt im Lyrikband „Old Possom's Book of Practical Cats“ (1939), der bis heute zur Grundausstattung jeder englischsprachigen Kinderbibliothek gehört.

1980 begann Andrew Lloyd Webber, einige Gedichte daraus zu vertonen – der Anfang eines der erfolgreichsten Kapitel der jüngeren Musicalgeschichte. 21 Jahre lief „Cats“ in London, 18 am Broadway, 15 in Hamburg und als deutsche Erstaufführung über sieben Jahre in Wien: Da ist noch mehr drin, fanden nun Event-Produktionsfirmen und brachten das Stück im Jänner 2011 in einem Zelt in Hamburg heraus; nach Stationen in Deutschland und der Schweiz ist es nun bis Ende Mai in Wien zu erleben.

„Cats“ ohne Legwarmers? Undenkbar!

Geworben wird mit der Aura des Originals, mehr noch aber mit technischem Aufwand und Einzigartigkeit des Ambientes: Das Bühnenbild stellt die bisher nirgends nachgeahmte Londoner Uraufführung nach, eine zungenförmige Spielfläche, die sich vom Hintergrund nach vorn reckt und zu drei Vierteln von ansteigenden Publikumsrängen umschlossen wird, auf denen sich die Darsteller oft zum Greifen nah tummeln – so mancher hätte da gerne nach einem wärmenden Katzenfell gegriffen, denn die Zeltheizung schwächelt angesichts des aktuellen Minusrekords. Musikalisch steht die von der Uraufführung abweichende Endfassung auf dem Programm, in relativ kleiner, aber wahrlich ausreichend verstärkter Orchesterbesetzung (Leitung: Daniel Rein), gesungen wird, so will es wohl die Mehrheit, Michael Kunzes deutscher Text. Es zählt ja zu den großen Merkwürdigkeiten des modernen Musiktheaters, dass Musicals zwar international oft bis in kleinste Details von Bühnenbild, Choreografie, Kostümen und Maske festgeschrieben sind („Cats“ ohne die ikonischen Sleeves und Legwarmers? Undenkbar!), aber doch übersetzt werden, egal, wie das klingt. In der Oper hingegen, bei der die Urheber in der Regel längst tot sind, gilt just die Originalsprache allerorten längst als Standard, während die Inszenierung aussehen kann, wie sie will. So betrachtet, funktioniert die Unterhaltungsbranche künstlerisch wesentlich restriktiver.

Das Musical-Publikum, so scheint's, will aber auch gar nichts anderes als das Altbekannte – und gerade „Cats“ eignet sich aus vielerlei Gründen bestens für ein solches Revival, bezieht sich doch schon die Handlung mehrfach auf vergangenes Glück. „Was heut' inszeniert wird, hat höchstens Niveau, aber wir machten damals die Menschen auch froh“, räsoniert Gus, der Theaterkater (Frank Logemann), den von Rechts wegen Peter Weck hätte spielen müssen, der Schirmherr dieser „Cats“-Wiedergeburt.

Niveau hat die Produktion gewiss – aus der tadellosen Besetzung ragen etwa Mark John Richardson (Mr. Mistoffelees), David Arnsperger (Munkustrap) und Dominik Hees (Rum Tum Tugger) heraus. Aber wer nicht schon damals im Theater an der Wien mit dabei war, versteht wohl nicht spontan, warum gerade dieses Stück den Intendanten Weck aller Spielplansorgen entheben konnte – dazu hat etwa Webber, um ein Schönberg-Bonmot abzuwandeln, zu vielen späteren U-Musik-Herstellern alles mit großem Geschick vorgeäfft. Doch Masha Karell als geächtete Grizabella macht ihre Sache gut, dosiert ihre vokalen Kräfte und kann die Ökonomie in Ausdruck verwandeln: Erst bei der finalen, ihr Katzenschicksal entscheidenden Reprise ihres Songs legt sie mit voller Beltstimme los: „Spür mich, komm zu mir und berühr mich!“ Und da stellte sie sich dann doch noch ein, jene Gänsehaut, für die einmal nicht die Kühle im Zelt verantwortlich war. Sondern die Erinnerung.

Auf einen Blick

Nach 20 Jahren kommt eine deutsche Tourneeproduktion von „Cats“ nach Wien, wo das Webber-Musical im Theater an der Wien und im Ronacher ein enormer Erfolg war – während der Intendanz von Peter Weck bei den Vereinigten Bühnen Wien (VBW). Der heute 81-Jährige übernahm die Schirmherrschaft über „Cats“ im Zelt (bis Mai), von den VBW als Konkurrenz misstrauisch beäugt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2012)

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