Zwischen Aspendos und Antalya: Wo der Imam in Ohnmacht fällt

(c) EPA (Aybige Mert)
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Wenn einem vor lauter Urlaubsklischees das Wasser der türkischen Riviera schon bis zum Hals steht, begibt man sich auf die Spuren der Antike und auf die Suche nach dem Nabel der Dame und den Fingern des Wesirs.

Antalya ist anders. Oder jedenfalls anders, als man sich Ferienhochburgen an der türkischen Riviera vorstellen würde. Neben kleinräumig konzentrierten Summersplash-Happenings und klobigen Hotelkonglomeraten findet diese Stadt noch ausreichend Platz für autochthone Erlebnisalternativen. Immerhin handelt es sich bei diesem vermeintlichen Fremdenverkehrshafen mit Neckermann-Flair um eine Millionenstadt mit multikulturellen Wurzeln. Denn obwohl Griechen, Römer und Byzantiner mit ihren Dominanzansprüchen vor tausenden Jahren auf Stein bissen oder baden gingen, haben sie alle unvergängliche Abdrücke hinterlassen – auch gleich in der Nähe, im Hinterland, in Perge etwa, der neben Side wichtigsten Stadt des einstigen Pamphylien. Oder in Aspendos, wo das besterhaltene römische Theater Kleinasiens, wenn nicht gar der ganzen Welt, steht. Was Atmosphäre, Akustik und Ambiente betrifft, stellt dieser Bau jedenfalls die Arena von Verona eindeutig in den Schatten.

Hüllenlose Venus in Gold

Antalya, das bereits vor Jahrtausenden globalisierte Dorf, hatte in den 1970er-Jahren nicht einmal 100.000 Einwohner. Heute fühlt man sich wie in einem überdimensionierten Schmelztiegel. Wäre man nicht in der Türkei, könnte man sich ganze Straßenzüge lang in der Schweiz oder an der Côte d'Azur wähnen. Eidgenössisch wegen der Sauberkeit und den chaletartigen Häusern, südfranzösisch wegen der Fusion aus erlesenen Fischgerichten und filmreifer Kultur.

Cinephile Gourmets kommen beim Antalya Golden Orange Film Festival sogar ungeschaut auf ihre Kosten. Dafür sorgen 46 weithin sichtbare barbusige Schönheiten aus Gold, die hoch über den Häusern thronen. Ihr Anblick erfreut nicht nur die Festivalgäste im Saal, sondern auch die Flaneure im Freien. Bei den ansehnlichen Figuren handelt es sich um Venus-Statuen. Diese Göttinnen der Liebe und Sinnlichkeit prämieren die Gewinner der Filmfestspiele mit einer goldenen Orange. Zudem verleihen sie dem Stadtbild einen laizistischen Anstrich. Zwar sind die hüllenlosen Schönheiten islamistischen Fundamentalisten bestimmt ein Dorn im Auge – vor Jahren wurde eine der Statuen abgefackelt, doch bislang stehen die verbliebenen Standartenträgerinnen der Filmkunst unbeschadet und unübersehbar ihren Mann. Es bleibt zu hoffen, dass sich das auch unter der AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) nicht ändern wird. Die Mittelmeermetropole zeigt ihren Besuchern jedenfalls ein ausgesprochen unverschleiertes Bild. Nur der Ruf des Muezzins verleiht der Stadt muslimische Noten. Auch Çağan, der einen kleinen Laden am antiken Hadrianstor betreibt, sitzt während der Gebetsstunden lieber auf der Treppe und trinkt gemütlich seinen Tee. „Die Säulen des Islam sind in Antalya schon ein wenig ins Wackeln geraten“, sagt er. „Die Stadt folgt den Regeln der Moderne. Man trinkt Bier, verteufelt keine Schweine mehr und die Moscheen leeren sich, während die Straßen sich füllen.“ Antalya wächst um fast 50.000 Menschen pro Jahr. Ebenso wächst der Inlandstourismus. Da ist nicht mehr viel Platz für erstarrten Traditionalismus.

Selbst in der ausgesprochen atmosphärischen Altstadt trifft man nur noch selten auf Kopftuchträgerinnen. Zwar sitzen die Männer immer noch beim Tavla oder knüpfen Teppiche, aber den miniberockten Studentinnen werfen sie keine bösen Blicke mehr zu. „Alt, aber immer noch gut“ gilt hier vor allem für historische Relikte und weniger für gesellschaftliche Normen. Im archäologischen Museum etwa geht es ausgesprochen freizügig zu. Dort lagern nicht nur Berge an Anschauungsobjekten aus der bewegten Geschichte von Lykien und Pamphylien, sondern sogar ein paar Knochen des heiligen Nikolaus. Das „Müze“ (Museum) mit seinen Räumlichkeiten, die selbst ohne Ausstellungsobjekte sehenswert wären, zählt neben Athen zu den weltweit bedeutendsten Sammlungen antiker Kunst. Wobei ein Gutteil der Monumente vor allem in den Straßen herumsteht. Etwa das Hadrianstor („Drei Tore“ auf Türkisch) aus dem Jahre 130 n.C., das eher einem Triumphbogen als einem Stadttor gleicht und heute den Zugang zur Altstadt (Kaleiçi) markiert. Oder das „abgeschnittene“ Kesik-Minarett: Ursprünglich ein Rundtempel zu Ehren des ptolemäischen Gottes Serapis, danach eine byzantinische Kirche, die zur Moschee umgebaut wurde, brannte das Gebäude 1851 zur Gänze nieder – bis auf das halbe Minarett, das noch heute an die alte Zeit erinnert.

Imam, Frau und Wesir

Wenn der Imam in Ohnmacht fällt, hat er sich vermutlich zu nahe an den Nabel der Dame gewagt. Oder gar am Finger des Wesirs geknabbert. Was wie eine Abhandlung aus Tausendundeiner Nacht klingt, ist nichts anderes als der Auszug aus einer türkischen Speisekarte. Ein Ignorant, der glaubt, die Osmanen würden sich nur von Kebab nähren. Wahrscheinlich zählt die türkische Küche sogar zu den reichhaltigsten und vielfältigsten der Welt. Allein bis zu 100 verschiedene Zubereitungsarten für Auberginen sind in einzelnen Regionen bekannt.

Wenn der Imam dann in Ohnmacht fällt, liegt das entweder am exquisiten Geschmack des Gerichts oder an der großen Menge von Knoblauch. Die „Finger des Wesirs“ hingegen liegen als Knabbergebäck perfekt in der Hand. Genauso wie die unzähligen Variationen von Lamm, Huhn, Fisch, Okra, Erdbirnen oder Kichererbsen ihren Weg in den Magen finden. Und es darf immer auch noch ein wenig mehr – in Küstennähe auch Meer – sein. Und weil der Fisch ja schwimmen soll, keltern die Anatolier schon längst wieder ihren eigenen Wein. Ein Kalecik Karası (rot) oder ein trockener Emir sind durchaus einen mehrmaligen Versuch wert.

Außer, man residiert im „The Marmara Antalya“ Beach Hotel. In diesem stilvollen und ausgesprochen ruhigen Resort kann einem schon einmal schwindlig werden. Was keinesfalls an der Gebäudehöhe liegt, sondern an dessen Drehmoment. Da rotieren die Suiten einfach im Kreis. Der Blick schweift im Laufe einiger Stunden vom Meer zum Taurusgebirge, vom Taurusgebirge zur Parklandschaft und von dort auf die Terrasse der näheren Nachbarn. Das ist schön.

Weniger schön ist die allabendliche Suche nach dem Lift. Denn auch dieser bleibt nicht unbeweglich. Aber wenn man schon einige Runden am Privatstrand, am Pool oder am ausufernd bestückten Buffet gedreht hat, gelingt einem die Verfolgungsjagd des Lifts auch noch. Und hat man einmal zu tief ins pretty pink Cocktailglas geschaut, ist's auch nicht weiter schlimm. Denn wenn sich das Zimmer immer weiter dreht – schuld daran ist allein der Architekt.

Distinktionsprogramm im Ballungsraum Antalya: Antike, Filme, Festivals

Hotel: The Marmara Antalya, Sirinyali Mah. Lara Antalya 07160, +90/242/249 36 00
www.themarmarahotels.com/The-Marmara-Antalya/Antalya

Festivals, Kunst, Kultur: Archäologisches Museum Antalya, Antalya Müzesi, Bahçelievler Mh.

Antalya Orange Filmfestival im Oktober, Sakıp Sabancı Bulvarı, Atatürk Kültür Parkı İçi, +90/242/238 54 44, www.aksav.org.tr/en/default.php

Aspendos-Festival, Juni bis Juli, www.aspendosfestival.gov.tr

Essen & Trinken: „Club Arma“, exzellentes Fischrestaurant direkt am Hafen; Kaleiçi Yat Limam, Iskele Caddesi 75, 07050 Antalya, +90/242/244 97 10
www.clubarma.com.tr/

„7 Mehmet“: gehobene Küche mit bester Aussicht auf die Stadt; Atatürk Kültür Parki nr. 201

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2012)

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