»Wir wurden stundenlang beschossen«: Massaker in Protesthochburg Homs

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Knapp 300 Menschen starben durch einen Angriff der syrischen Armee auf die Stadt Homs. Das Regime von Präsident Assad spricht von »Lügenmärchen« und dementiert das beispiellose Blutbad an den Bewohnern.

„Wir saßen gerade in unserem Haus, als das Bombardement begann“, erzählt Waleed, ein Bewohner der syrischen Stadt Homs, der Nachrichtenagentur Reuters via Telefon. „Wir wurden stundenlang beschossen. Am Morgen sahen wir, dass Tote auf den Straßen lagen“, sagt der Mann weiter.

Während im Weltsicherheitsrat weiter heftig um den Wortlaut der ersten UN-Resolution gegen das Regime von Präsident Bashar al-Assad gerungen wurde, hat die syrische Armee nach Angaben von Menschenrechtsgruppen in der Nacht zu Samstag ein beispielloses Massaker an Bewohnern der Stadt Homs verübt.

Nach Augenzeugenberichten wurden die sunnitischen Wohnviertel Khalidiyeh, Bab Amr und Qusur von Mitternacht bis in den frühen Morgen mit schwerer Artillerie und Panzerraketen systematisch unter Feuer genommen. Wie die „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ in London und der „Syrische Nationalrat“ bestätigten, starben bis zu 300 Menschen in ihren Häusern, von denen 36 total zerstört wurden. Der Fernsehsender al-Arabiya spricht sogar von mehr als 400 Toten und über 1300 Verletzten, darunter viele Frauen und Kinder.

Am Samstag trauten sich die Einwohner allmählich wieder auf die Straße. Zwischen Leichen und Trümmern suchen sie nach Vermissten. „Knapp 200 Märtyrer werden im Freiheitspark beigesetzt“, sagt Hadi Abdullah vom Generalrat der Syrischen Revolution in einem Telefonat mit der Nachrichtenagentur AFP. Tausende Einwohner beteiligten sich an den Trauerprozessionen im Stadtteil Khalidiyah, versichert Abdullah trotzig. Die Panzer von Präsident Bashar al-Assad stünden nicht in der Stadt. Sie feuern von außen herein.

„Hysterische Propaganda“

Das Regime in Damaskus bestritt alle diese Berichte und tat sie als „hysterische Propaganda-Kampagne bewaffneter Gruppen“ sowie „Lügenmärchen“ ab. Der Alltag der Menschen im Umland von Damaskus, Hama und Homs sei völlig normal, berichteten Korrespondenten der offiziellen Agentur SANA aus den Krisengebieten. Die Berichte, die die Welt schockierten, wären nichts als „aufhetzende Medienkampagnen“, um den UN-Sicherheitsrat vor der Abstimmung über eine Syrien-Resolution zu beeinflussen. Die Gewalt gehe allein von „bewaffneten terroristischen Gruppen“ aus, schrieb die Agentur. Die Menschen „auf den Bilder der Satellitenkanäle“ seien in Wirklichkeit von Bewaffneten entführt und getötet worden.

Eine unabhängige Bestätigung für das Massaker ist allerdings unmöglich, weil das Assad-Regime seit zehn Monaten jede freie Berichterstattung im Land strikt unterbindet.

Ein Amateurvideo aus Homs zeigt chaotische Szenen aus der Moschee des bombardierten Stadtteils Khaldiyeh, die als provisorische Notaufnahme für Verletzte genutzt wurde. Aber auch zahlreiche Tote liegen auf dem Teppichboden. Auf einer anderen Aufnahme versuchen Bewohner verzweifelt, ihre brennenden Häuser zu retten. Homs, das teils aussieht wie eine Ruinenstadt, gilt seit Monaten als Hochburg des Widerstands. Teile der Stadt sind bereits unter der Kontrolle der „Freien Syrischen Armee“, andere Teile nach wie vor im Griff des Regimes. Möglicherweise ist das Massaker eine Vergeltungsaktion für den Überfall von Deserteuren auf einen Armeeposten im Stadtteil Khaldiyeh, bei dem 19 Soldaten getötet oder gefangen genommen wurden.

Bombardements auch in Damaskus

Nach Angaben der Opposition bombardierten syrische Streitkräfte in der Nacht auf Samstag auch die Stadt Jisr al-Shughur nahe der Grenze zur Türkei sowie Vororte von Damaskus, wo es nach wie vor zu heftigen Kämpfen kommt.

Die „Freie Syrische Armee“ erklärte derweil durch einen ihrer Sprecher, die regulären Truppeneinheiten seien in einem „erbärmlichen Zustand und stehen kurz vor dem Kollaps“. Zwar gebe es noch große militärische Reserven, doch die Soldaten „hätten keine Motivation mehr zu kämpfen“. Nach seinen Angaben wachsen zwischen der alawitischen Generalität, die der gleichen, den Schiiten nahen Religionsgruppe angehört wie der Assad-Clan, und dem mittleren, meist sunnitischen Offizierskorps  Spannungen. In allen Landesteilen kommt es Tag für Tag zur Fahnenflucht meist sunnitischer Rekruten

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2012)

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