Ein bisher geheimes Gutachten informierte den Spitalsbetreiber über wettbewerbsbeschränkende Absprachen. Trotzdem erfolgte die Unterschrift für ein 50-Mio.-Euro-Geschäft.
Wien. Warum erteilte das Wiener AKH im Sommer 2010 einen Auftrag über 50 Millionen Euro, wenn vorher ein Gutachter „deutliche Hinweise“ auf Straftaten im Zuge des Vergabeverfahrens feststellte?
Die Ermittlungen im Fall eines unter fragwürdigen Umständen zustande gekommenen Auftrags für Fremdpersonal biegen auf die Zielgerade. Der „Presse“ liegt der dazugehörige Endbericht des Bundesamts zur Korruptionsbekämpfung (BAK) vor. Neben der Erhärtung zahlreicher bekannter Vorwürfe wirft das 284 Seiten starke Papier vor allem die eingangs gestellte Frage auf.
Rückblende: Anonyme Absender informierten im Frühling 2010 KAV-Generaldirektor Wilhelm Marhold über angebliche Malversationen bei der Auftragsvergabe. Den Verdächtigungen beigelegt waren Mitschnitte von Telefonaten, in denen sich Beamte des Spitals um Kopf und Kragen redeten. Unter anderem wurden darin Mitbieter unter Druck gesetzt und diesen vorgehalten, dass der Sieger der Ausschreibung längst feststünde. Marhold beauftragte den Strafrechtsprofessor Wolfgang Brandstetter, auf Basis dieses Materials ein Gutachten zu erstellen. Dessen (bisher geheime) Erkenntnis: „Deutliche Hinweise auf einen Tatverdacht bezüglich mehrerer gerichtlich strafbarer Handlungen.“
Das Papier ist mit 17.6.2010 datiert. Die Vorwürfe gegen die AKH-Beamten beinhalten die Delikte Nötigung, Erpressung, gefährliche Drohung und schweren Betrug. Zudem ortet Brandstetter einen Tatbestand, der das AKH und den Auftragnehmer betrifft: wettbewerbsbeschränkende Absprachen.
KAV verteidigt sein Vorgehen
Und trotzdem erging eine Woche später via Fax die Auftragsbestätigung an den „Bestbieter“. Wie das möglich ist? Bisher beriefen sich KAV und AKH stets auf ein zweites Gutachten des Vergabeexperten Michael Holoubek. Demnach hätte bei einer Nichterteilung des Auftrags an den Sieger eines Vergabeverfahrens ebendieser Anspruch auf Schadenersatz. Es sei denn, man könne strafrechtlich Relevantes nachweisen. Für Brandstetter waren diese Hinweise deutlich.
Bisher kommunizierte der KAV nach außen, dass man den Ermittlern nach Bekanntwerden und interner Prüfung der Vorwürfe sämtliche Unterlagen zur Verfügung gestellt und eine umfassende Sachverhaltsdarstellung eingebracht hätte. Aus dem BAK-Abschlussbericht geht jedoch hervor, dass das nun aufgetauchte Gutachten offenbar nicht freiwillig und erst Ende 2011 auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft übermittelt wurde. Stimmt das?
KAV-General Marhold sagt, dass er den entsprechenden Vermerk nicht kenne. „Ich habe meine Mitarbeiter dazu angewiesen, alle Unterlagen der Staatsanwaltschaft zu übermitteln. Auch die Gutachten.“ Dass die Unterschrift für die Auftragsbestätigung nach dem Brandstetter-Gutachten erfolgte, möge für juristische Laien zwar seltsam aussehen, sei jedoch „rechtlich notwendig“ gewesen. Erst auf Basis dieses Gutachtens konnte vier Monate später Vergabeexperte Holoubek seine Bewertung vornehmen. Marhold sagt, er brauchte diese Zeit, „um Rechtssicherheit für KAV und Steuerzahler“ zu schaffen.
Nun liegt der Ball beim Staatsanwalt, der in den nächsten Wochen entscheidet, ob er Anklage erhebt. Verdachtsmomente lieferten ihm die Korruptionsfahnder reichlich. Und zwar – wie sie im Zuge der langwierigen Ermittlungen herausfanden – in mehreren Fällen. Als verdächtig gelten vier (Ex-)Beamte und ein AGO-Gesellschafter.
• Pilotprojekt 2003: Damals wurde erstmals der Einsatz von Fremdpersonal im EDV-Bereich getestet. Partner des AKH: die Firma AGO. Laut BAK fand keine ordnungsgemäße Ausschreibung statt. Die vertraglich vereinbarten Dienstleistungen seien nicht erbracht worden, die Bezahlung lag demnach über der fixierten Summe.
• Vergabe 2004: Auftragsvolumen: 280 Leiharbeitskräfte für 2,4 Mio. Euro jährlich. Den Zuschlag erhielt AGO. Und das, obwohl das Angebot laut BAK „erhebliche Mängel“ aufwies. So seien vorgeschriebene Auskünfte (Qualitätszertifikate, Strafregisterauszug etc.) nicht vorgelegt worden. Die Spitzenbeamten B. und H. sollen das wissentlich ignoriert haben.
• Vergabe 2005: Damals suchte die AKH-EDV Personal – und fand es bei AGO. Laut AKH war die Firma europaweit das einzige Unternehmen, das entsprechend geschulte Personen bereitstellen konnte, weshalb es keine öffentliche Ausschreibung gab. Das BAK bezweifelt die Darstellung.
• Vergabe 2009: Ausmaß: 1050 Fremdarbeiter für 15 Mio. Euro pro Jahr. Vermeintlicher Bestbieter: AGO. Laut BAK wurden billigere Mitbieter unter Druck gesetzt und aus nicht nachvollziehbaren Gründen ausgeschieden. AGO selbst soll den Auftrag trotz nicht erfüllter Ausschreibungskriterien bekommen haben. Für die Ermittler ist das laut Akt „eindeutig erwiesen“. Entlastend für alle Beschuldigten ist, dass die Ermittler zwischenzeitlich vermutete Schmiergeldzahlungen und Schwarzkonten nicht nachweisen konnten.
Auf einen Blick
Seit Frühling 2010 ermitteln die Behörden über eine mutmaßlich geschobene Auftragsvergabe im AKH. Nun gibt es den Endbericht. Er zeigt zahlreiche Merkwürdigkeiten auf, Schmier- und Schwarzgeld wurden jedoch nicht entdeckt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2012)