Ein neues mögliches Opfer von Malaria-Versuchen an der "Klinik Hoff" der 1960er kontaktierte die "Presse". Ein Anwalt erwartet bis zu 100 Betroffene. Zweifler widersprechen.
Wien. Eine renommierte Klinik, die unter ihrem seriösen Deckmantel Malaria-Versuche an Jugendlichen verbarg? Im Fall der Wiener Universitätsklinik für Psychotherapie, früher als „Klinik Hoff“ bekannt, verdichten sich die Hinweise, dass in den 1960ern mehrere Patienten unfreiwillige Injektionen des Malaria-Erregers erhielten – eine „Therapie“, die schon damals nicht mehr zeitgemäß war, schon gar nicht bei psychischen Erkrankungen. Neben den beiden mutmaßlichen Opfern, die sich beim ORF-Radio gemeldet haben, spricht nun ein dritter Betroffener gegenüber der „Presse“ über seine einprägsame Begegnung mit der Klinik Hoff. Dabei beschreibt der 63-jährige Peter Kessler einen Raum mit „circa zehn anderen Jugendlichen, die Fieberschübe hatten“ – und erhärtet den Verdacht, dass die Causa weitere Kreise ziehen könnte, als vermutet.
„Ich habe bei einer Wette zu viel Alkohol getrunken und bin ohnmächtig geworden“, erzählt Kessler über die Nacht seiner Einlieferung. „Am Morgen ist Dr. Hoff über mir gestanden, bald gab es Spritzen.“ Bis zu 40 Grad hohes Fieber beschreibt der pensionierte Einzelhandelskaufmann als Folge: „Mich hat es aus dem Bett gehoben, das ist eine bleibende Erinnerung.“ Erkannt habe er Hans Hoff, Klinikleiter mit weltweitem Renommee, leicht. „Das war nicht schwer, er ist aufgetreten wie der liebe Gott“, so Kessler, der später nach eigenen Angaben nie unter psychischen Erkrankungen litt. Gefallen sei das Wort „Malaria“ ihm gegenüber nie. Sich zu wehren sei ihm nicht möglich gewesen, so Kessler. „Ich war schuldbewusst wegen dem Trinken, und ich hatte eine dominante Mutter.“
Opfer sollen sich selbst melden
Ginge es nach der Universitätsklinik für Psychiatrie, sollten sich mutmaßliche Opfer selbst in der Klinik melden. Kontaktiert hat das vierköpfige Ärzteteam bisher keinen der Betroffenen – obwohl mit dem Wiener Anwalt Johannes Öhlböck, der eines der Opfer vertreten will (so wie jene Frauen, die Vorwürfe gegen ein Ex-Kinderheim am Wilhelminenberg erhoben, Anm.), ein Anknüpfungspunkt publik geworden ist. „Wir sind auf Opfer angewiesen, aber wir wollen sie nicht überrumpeln“, sagt Siegfried Kasper, Vorstand der Universitätsklinik für Psychiatrie. Bisher habe sich nur ein Betroffener gemeldet, mit dem man „das Gespräch suchen“ wolle. „Wir wollen mögliche Opfer immunologisch und psychiatrisch untersuchen sowie Therapien anbieten.“ Das Heranziehen externer Experten ist nicht vorgesehen. Kasper hält das eigene Team für neutral genug: „Wir sind aus einer anderen Generation und haben kein Interesse an Vertuschung.“
Der Klinik steht dabei Aufklärungsarbeit an zwei Brennpunkten bevor: einerseits bei den Methoden – die Behandlung psychischer Erkrankungen mittels Malaria war eigentlich nie anerkannt. Julius Wagner-Jauregg hatte mit Malaria vor allem eine späte Form von Syphilis behandelt – was ihm den Nobelpreis einbrachte. Eine weitere Frage betrifft den Missbrauch von Patienten, um durch ihre Infektion den Malaria-Erreger für die Forschung am Leben zu erhalten. An den jahrelangen Fieberschüben, die Betroffene beschreiben, gibt es Zweifel: Für derartige Rückfälle müsste eine Infektion durch eine Mücke, nicht durch Blut, vorliegen – das bestätigt Herwig Kollaritsch vom Institut für Tropenmedizin der medizinischen Universität Wien. „Der Erreger ist im Blut in einem anderem Entwicklungsstadium – nicht in jenem, das schlafende Erreger in der Leber mit sich zieht.“ Dass der Erreger über mehrere Jahre am Leben gehalten und dabei die Körper hunderter Patienten missbraucht wurden, hält Kollaritsch für Spekulation. „Das wäre ein Riesenversuch gewesen, der sicher aktenkundig wäre.“ Doch genau eine solche Testreihe über mehrere Jahre ist die Theorie von Anwalt Johannes Öhlböck, der Wilhelm J. vertritt und mit bis zu hundert Betroffenen rechnet. Die mögliche Verjährung des Falls, die Öhlböck juristisch umschiffen will, hält er für einen „Skandal“. „Die Leute brauchen jahrelang, um an die Öffentlichkeit zu gehen, das kann man nicht mit Verjährung abtun.“ Spätfolgen bezweifelt auch eine 75-Jährige, die 1948 in einer Grazer Privatklinik mit Malaria „therapiert“ wurde und sich bei der „Presse“ meldete. „Es war gegen meine Kinderlähmung nutzlos, aber ohne Folgen“, sagt die Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will.
Auf einen Blick
Vorwurf: Wilhelm J. gab am Montag an, 1964 in der „Klinik Hoff“ zu Testzwecken mit Malaria infiziert worden zu sein. Seither meldeten sich mehrere Betroffene. Geklagt werden könnten sowohl die Stadt Wien als auch der Staat Österreich.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2012)