Energie: Österreich verhindert Blackout in Deutschland

(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
  • Drucken

Schon zum zweiten Mal greifen die Deutschen auf Notreserven zu. Gründe dafür sind die Kälte und der Atomausstieg. Prophezeiungen von Gegnern der Energiewende haben sich bisher nicht erfüllt.

Berlin. In Deutschland werden die Lichter ausgehen: So orakelten Kernkraftanhänger im Vorjahr düster, als die Bundesregierung den Atomausstieg beschloss. Nun passieren Dinge, die ihnen auf den ersten Blick recht zu geben scheinen: Schon zum zweiten Mal in diesem Winter müssen die Deutschen auf „Kaltreserven“ zugreifen, um ihren Strombedarf zu decken. Dabei werden alte, längst unrentable Öl- und Kohlekraftwerke wieder angeworfen. Und auch der Nachbar Österreich muss aushelfen. Zwei ältere Gaskraftwerke der EVN (Theiss und Korneuburg) sowie das Ölkraftwerk Werndorf sprangen am Mittwoch ein.

Anlass ist die sibirische Kälte, die auch den Strombedarf erhöht. Zwar heizen nur sechs Prozent der deutschen Haushalte direkt mit Strom. Aber generell gehen die Wärmepumpen öfter an, zusätzliche Radiatoren werden eingesetzt, und die Menschen gehen weniger außer Haus. Bei Bedarfsspitzen fehlt Strom – eine neue Situation, denn in früheren kalten Wintern reichte die Kapazität stets aus. Damals waren aber auch noch acht Atomkraftwerke in Betrieb, die im März 2011 abgedreht wurden.

Nach Fukushima beugte sich Kanzlerin Merkel (CDU) dem Volkswillen und machte die Laufzeitverlängerung für alte AKW rückgängig. Im Juni wurde dann die „Energiewende“ beschlossen: Bis 2022 müssen schrittweise auch die verbleibenden neun Kernkraftwerke vom Netz. Im September plante die Bundesnetzagentur die Notkapazitäten ein und verhandelte mit den österreichischen Lieferanten. Eine Maßnahme, die Umweltverbände damals als „überflüssig“ kritisierten. Aber die Sorge, so zeigt sich nun, war berechtigt.

Überfordert der Atomausstieg also die deutsche Energieindustrie? Es sieht, alles in allem, nicht danach aus. Deutschland hat früher weit mehr Strom produziert, als gebraucht wurde, und die Übermengen exportiert. Aber auch 2011 blieb das Land ein Nettoexporteur. Der Atomstromanteil sank von 22 auf 16 Prozent. Die fehlenden Mengen wurden zu 56 Prozent durch erneuerbare Energien wettgemacht: Windenergie aus dem Norden, ergänzt um Solarstrom aus dem Süden.

38 Prozent wurden durch weniger Exporte kompensiert – auch nach Österreich. Allerdings kann man nicht sagen, dass diese Mengen nun woanders „fehlen“. Sie waren nicht eingeplant, sondern nur ein Abverkauf der Überproduktion. Aber auch zuletzt wurde stark exportiert, vor allem nach Frankreich, wo ein großer Teil der Haushalte mit (Atom-)Strom heizt und Bedarf wie Preise durch die Kälte in die Höhe geschossen sind.

Es fehlt am Netz, nicht am Strom

Warum kommt es dann aber zu Engpässen? Strom aus Wind und Sonne fällt sehr ungleichmäßig an. Bei Flaute und Wolken ist die Grundauslastung nicht gedeckt. Anfang Dezember, als die österreichische Kaltreserve das erste Mal zum Einsatz kam, gab es aber paradoxerweise eher zu viel Ökostrom. Sturmtief Ekkehard brauste übers flache Land im Norden.

Der Engpass lag im Süden, wo sich die stromintensive Industrie konzentriert. Ein bayerisches AKW musste für eine ungeplante Reparatur abschalten. Der Windstrom war schon an Italien verkauft, und eine Nichtlieferung hätte Millionen gekostet. Zusätzliche Mengen aber waren nicht zu transportieren, weil die Leitungstrassen dafür nicht ausgelegt sind. Bei drohender Überspannung werden die Rotoren ausgeschaltet oder die Windenergie über die Grenze abgeleitet, etwa nach Polen, wo die Angst wächst, das Stromnetz könnte zusammenbrechen.

Damit ist die Marschrichtung für die nächsten Jahre klar: Das innerdeutsche Leitungsnetz von Nord nach Süd muss erweitert werden, auch gegen den Widerstand vieler Bürgerinitiativen.

Umso mehr, als der Bau der großen Offshore-Windparks in der Nordsee erst bevorsteht. Sie sollen die Strommengen der heute noch laufenden AKW ersetzen, ergänzt um neue Gaskraftwerke in Bayern und Baden-Württemberg. Wenn es so kommt, dürfte der große Stromausfall eher ausfallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Notreserven angetastet Strom Europa
International

Notreserven angetastet: Strom in Europa wird knapp

Frankreich braucht "Stromhilfe" aus Deutschland. Die Deutschen greifen wiederum wegen drohender Engpässe auf Strom aus Österreich zurück.
Notreserven angetastet Strom Europa
International

Notreserven angetastet: Strom in Europa wird knapp

Frankreich braucht "Stromhilfe" aus Deutschland. Die Deutschen greifen wiederum wegen drohender Engpässe auf Strom aus Österreich zurück.
Wirtschaftsfaktor Stromausfall Wenn dunkel
New Articles

Wirtschaftsfaktor Stromausfall: Wenn es dunkel wird

Ein Stromausfall hat nicht nur seine romantischen Seiten. Vor allem in der mobilen und digitalen Welt wird es dann ungemütlich.
Gefahr durch Stromhaendler Zocken
International

Gefahr durch Stromhändler: Zocken bis zum Blackout

Deutsche Händler sollen Verbrauchsprognosen manipuliert haben, um hohe Kosten zu vermeiden. Das Stromnetz stand kurz vor dem Zusammenbruch.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.