Milch, Müsli, Hardcore-Punk: Die gesunde Subkultur

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Das Gegenteil von Sex, Drugs & Rock'n'Roll: Straight Edge ist die Subkultur, deren Anhänger gesünder leben, als das Gesundheitsministerium empfiehlt.

Don't smoke. Don't drink. Don't fuck around. Das sind die drei Gebote der „Straight Edge“-Szene – eine Subkultur, die sich aus der Hardcore-Punk-Szene entwickelt hat. Ihre Anhänger sind oft tätowiert, tragen Piercings und hören Musik, bei der viele Menschen Kopfschmerzen bekommen würden. Und trotzdem könnte man sie wahrscheinlich als die perfekten Schwiegersöhne mit nach Hause bringen. Wer „straight edge“ ist, trinkt nämlich keinen Alkohol, raucht nicht, nimmt keine Drogen und verzichtet auch darauf, mit ständig wechselnden Partnern ins Bett zu gehen. Was in der Bewegung zählt sind Gesundheit, Treue und eine positive Wahrnehmung.

Der 26-jährige Jusuf ist einer, der all diese Werte lebt. Er ist „straight edge“, seit er 17 Jahre alt ist. „Ich war noch nie ein großer Fan von Alkohol und außerdem immer schon Nichtraucher. Die erste Begegnung mit der ,Straight Edge‘-Szene war auch meine erste Begegnung mit dem Hardcore-Punk“, sagt er. Seitdem lebt er abstinent. Nicht einmal in Versuchung gekommen sei er in all den Jahren: „Es reizt mich einfach nicht. Ich arbeite ab und zu als Security in der Arena und sehe die Konsequenzen von Alkohol und Drogen: Menschen, die komplett betrunken sind und sich prügeln, oder Mädchen, die sich von irgendeinem Typen abschleppen lassen.“ Für ihn sei das nichts. Und wie viele Anhänger der „Straight Edge“-Szene geht Jusuf einen Schritt weiter: Er verzichtet auch vollends auf Fleisch. „Viele Hardcore-Punks leben vegan oder als Vegetarier. Das ist ja nichts Besonderes“, sagt Jusuf.


Beginn der Rebellion.
Die Anfänge der Bewegung liegen in den frühen 1980er- Jahren, am Höhepunkt der Punkbewegung, als man noch mit Irokesen und Anarchiezeichen gegen das System und ältere Generationen protestierte. „Es war eine Teenagerrebellion. Einige Menschen aus der Hardcore-Punk-Bewegung haben dann gesagt, dass diese Bewegung sinnlos sei, wenn man betrunken ist. Man hat begonnen, auf Alkohol und Drogen zu verzichten, ebenso wie auf One-Night-Stands“, sagt Jusuf. Jugendliche wollten einen klaren Kopf für ihre Revolution haben, denn „man sieht die Missstände nicht, wenn man durch Alkohol und Drogen eingeschränkt ist.“

Den Begriff „Straight Edge“ hat die Band „Minor Threat“ aus WashingtonD.C. geprägt. In ihrem gleichnamigen Song heißt es übersetzt: „Ich bin eine Person wie du, aber ich habe bessere Dinge zu tun, als herumzusitzen und mich zuzudröhnen und mit den lebenden Toten herumzuhängen, mir weißes Zeug die Nase hochzuziehen und bei den Shows das Bewusstsein zu verlieren. Ich denke nicht mal über Speed nach, das ist etwas, was ich nicht brauche. Ich bin straight edge.“

Diese Zeilen wurden zum Lebensmotto der neuen „Straight Edge“-Subkultur – übersetzt bedeutet das „gerader Weg“. Als Erkennungszeichen galt und gilt immer noch ein X, das man sich mit fettem Edding auf den Handrücken malt oder sogar tätowieren lässt. Früher wurden Minderjährige in den USA damit markiert – es war ein Zeichen dafür, dass Barkeeper ihnen keinen Alkohol ausschenken durften. „Straight Edge“ hat sich dieses X zum Symbol gemacht – die Anhänger der Bewegung tragen das X freiwillig als Zeichen ihrer Abstinenz. Auch heute noch ist das X in der Szene ein deutlich sichtbares Erkennungsmerkmal.

Doch viele Hardcore-Punks, die „straight edge“ leben, findet man in Österreich nicht. Die Szene ist klein, die Leute kommen und gehen. „Sie bleiben dem Hardcore-Punk zwar treu, aber leben nach zwei, drei Jahren nicht mehr ,straight edge‘“, sagt Jusuf. Es sei nun mal nicht jedermanns Sache. Auch die Treffpunkte der Szene ändern sich ständig. Meistens mieten sich die Hardcore-Punks in einem Lokal ein und organisieren die Events und Konzerte selbst – vom Entwurf der Flyer bis hin zum Engagieren der Bands. Ein beliebtes Lokal für die Szene war lange Zeit das „Movimento“ in Wien, das es heute allerdings nicht mehr gibt.


Schräge Blicke.
Weil nicht mehr viele Jugendliche „straight edge“ leben, ist die Szene weithin unbekannt. „Wenn mich jemand fragt, warum ich nichts trinke, erkläre ich meistens nicht die ganze Geschichte“, sagt Jusuf. Negative Erfahrungen hätte er allerdings nur selten gemacht. „Mittlerweile haben sich Freunde und Verwandte daran gewöhnt, dass ich keinen Alkohol trinke.“ Schwieriger werde es bei Anlässen wie Weihnachtsfeiern. „Da wird man schon mal schräg angeschaut und darauf angesprochen: ,Was, du trinkst nichts? Komm, wir gehen einen saufen!‘“ Für viele Leute sei das sehr ungewöhnlich. Vor allem in seinem Heimatort: „Ich komme aus dem Weinviertel, da wird man ja schon mehr oder weniger mit Doppler aufgezogen.“ Am Land hätten Jugendliche nicht viele Möglichkeiten, etwas zu unternehmen. Und dann würden sie sich am Wochenende oft einfach betrinken.

Und genau diese Jugendlichen könnten es oft überhaupt nicht nachvollziehen, warum man abstinent lebt: „,Wie geht das überhaupt?‘, werde ich oft gefragt. Das finde ich eigentlich schon fast traurig.“ Nur seine Mutter, die sei sogar froh über ihren Hardcore-Punk-Sohn: „Sie ist von der religiös-islamischen Seite, da ist Alkohol ohnehin schon tabu. Für sie ist es eine Erleichterung, dass ich nicht rauche“, meint der 26-Jährige. Auch mit Frauen hätte er deswegen noch keine Probleme gehabt.

Eines sei bei „Straight Edge“ allerdings noch wichtig: „Es geht nicht nur um das abstinente Leben – sondern auch um die Verbindung zum Hardcore-Punk.“ Soll heißen – nicht jeder Gesundheitsfanatiker darf sich einfach so ein X auf den Handrücken malen.

Abstinent leben die Anhänger der „Straight Edge“-Subkultur: Kein Alkohol, keine Zigaretten und keine One-Night-Stands. Sie wollen einen klaren Kopf behalten.

In den 1980er-Jahren ist die Bewegung aus der Hardcore-Punk-Szene entstanden. Bands wie „Minor Threat“ prägten die Jugendszene. Das X wurde zum Symbol – in Lokalen wurden so Minderjährige markiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2012)

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