Richard Peppiatt: "Mit Journalismus nichts mehr zu tun"

Richard Peppiatt Journalismus nichts
Richard Peppiatt Journalismus nichts(c) Reuters (STRINGER)
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Der britische Journalist Richard Peppiatt kündigte seinen Job beim "Daily Star", weil er die Praktiken seines Arbeitgebers nicht weiter verantworten wollte. Mit der "Presse" sprach er über seine Erfahrungen.

Herr Peppiatt, über mehrere Jahre waren Sie als Reporter für die Tageszeitung „Daily Star“ tätig. Im März letzten Jahres haben Sie gekündigt. Warum?

Richard Peppiatt: Es ging mir um die journalistische Qualität der Zeitung und eine ideologische Haltung, die ich nicht weiter tragen wollte. Der „Daily Star“ brachte schon länger islamophobe Geschichten. Aber im Februar brachte ein Kollege von mir einen Text über die EDL (Anm.: English Defence League, eine rechtsextreme politische Gruppe, die u.a. den Koran verbieten will), die angeblich eine politische Partei werden wollte. Politisch war der Artikel völlig unkritisch und vor allem entsprach er nicht den Tatsachen: Auf Telefonanfrage hatte der EDL-Vorsitzende gesagt, im Moment sei das kein Thema. Aus dem „im Moment nicht“ wurde ein Aufmacher: „Bald ist die EDL eine Partei“. Das hatte mit der Wahrheit nichts zu tun, aber der EDL gab es Auftrieb. Mein Kollege musste die Story so schreiben, auf Anweisung von oben. Das brachte für mich das Fass zum Überlaufen.

Ihren Kündigungsbrief an den Verleger der Zeitung spielten Sie dem „Guardian“ zu.

Ja, ich wollte der Welt mitteilen, wie es beim „Daily Star“ zuging, weil ich mich nach den Jahren in meiner eigenen Haut nicht mehr wohlfühlte. Das konnte ich nur auf diese Art. Wäre ich nach einer internen Beschwerde gefeuert worden, hätte so ein Brief ja keinen mehr interessiert.

Darin schreiben Sie, wenn an einem Tag nichts Aufregendes passierte, haben Sie sich Storys einfach ausgedacht.

Das passierte. Ein Beispiel ist eine Geschichte über das Model Kelly Brook. An dem Tag hatte ich keine Story auf Lager, also behauptete ich, Brook suche einen Hypnosetherapeuten auf, damit dieser ihr helfe, im Bad nicht mehr so lange zu brauchen. Nichts davon stimmte. Aber so lief es eben, die Seite musste gefüllt werden. Am Ende des Tages strich ich dafür einen Bonus ein.

War das die Regel?

Die meisten Storys bewegen sich in Grauzonen. Du lügst nicht, aber du sagst auch nicht die Wahrheit. Ich lernte schnell, bestimmte Fakten zu ignorieren, damit die Story den vorgesehenen Ton traf: Drogen und Einwanderung sind schlecht, Strafen müssen härter werden. In der Regel wurde den Reportern ein Thema samt Standpunkt von oben aufgedrückt. Man erhält keine wirklichen Rechercheaufträge, es heißt eher: „Du schreibst jetzt genau dies und jenes.“ Juristisch waren die Artikel nicht angreifbar, aber sie hatten mit Journalismus trotzdem nichts mehr zu tun.

Glauben Sie heute, Sie hätten das alles schon vor Antritt Ihres Jobs wissen können?

Vielleicht. Unwohl fühlte ich mich vom ersten Tag an. Aber man steckt schnell ganz tief drin: Dass ich beim „Daily Star“ meist eher Märchen als Wahrheiten berichtete, lernte ich schnell auszublenden. Nach und nach änderten sich dadurch auch meine eigenen politischen Standpunkte. Aber als mir das klar wurde, war es auch nicht leicht, einfach zu kündigen: Man ist vom Geld abhängig, Boulevardmedien bezahlen vergleichsweise gut. Und welche andere Zeitung würde dich noch wollen?

Für welchen Artikel schämen Sie sich am meisten?

Nachdem in Frankreich die Burka verboten wurde, bekam ich die Anweisung, in Burka verkleidet auf die Straße zu gehen. Auf meine Frage, was das solle, bekam ich die Antwort: Das sei doch der Punkt, dass niemand wisse, wer da wirklich drunter stecke. Es könnten Terroristen sein. So wurde daraus wieder eine den Islam diffamierende Story, mit mir unter einer Burka auf den Straßen Londons. Aber es gab noch andere Geschichten von der Sorte.

Glauben Sie, die Arbeitsweise des „Daily Star“ ähnelt den Techniken der Konkurrenz?

Ja, da bin ich mir sicher.

Vor der Leveson Inquiry, die Untersuchung, die seit dem Abhörskandal um die Zeitung „News of the World“ die Praktiken des britischen Journalismus prüft, sagten Sie, auch die ökonomischen Probleme der Branche seien ein Grund für diese Praktiken.

Einmal saßen wir mit nur drei Reportern in der Redaktion und mussten die Zeitung allein füllen. Damit es nach mehr Namen aussah, nahmen wir Pseudonyme. Daran merkt man, dass Geld ein Problem ist. Die Konkurrenz ist hart. Aber ein anderes Problem ist die britische Medienaufsichtsbehörde (Anm.: Press Complaints Commission), die nichts unternimmt. Sie ist total zahnlos. Dann wird Märchenerzählerei eben mit höherer Auflage belohnt.

Sie sagen, seit Ihrer Kündigung haben Sie Morddrohungen erhalten und vermuten, dass Handy und E-Mails gehackt wurden. Wie lebt es sich seitdem?

Anfangs hatte ich viel Angst, aber das hat sich mittlerweile gelegt. Wegen meines Telefons habe ich eine Klage laufen und werde sehen, was daraus wird. Glücklicherweise gibt es auch nach meiner Kündigung noch Zeitungen, die an meiner Arbeit interessiert sind. Insofern lebt es sich gut. Nur auf eine Antwort auf meinen Kündigungsbrief warte ich noch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2012)

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