Kanada: Finanzwissen als Muss statt Plus

Finanzwissen Muss statt Plus
Finanzwissen Muss statt Plus(c) AP (DAVID DUPREY)
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Die Regierungen des Bundes und mehrerer Provinzen bemühen sich, mit Kursen das Finanzwissen der Kanadier zu erhöhen.

Ottawa. Rebecca kam vor nunmehr acht Jahren aus einem südamerikanischen Land in die kanadische Hauptstadt Ottawa. Das Einkommen, das die heute 50-Jährige nach Hause bringt, reichte nie aus. Der Schuldenstand auf der Kreditkarte wuchs. „Ich wusste überhaupt nicht, was mit meinem Geld geschah“, sagt Rebecca rückblickend. Vergangenes Jahr erfuhr sie von „Causeway“ – einer Organisation, die einkommensschwache und benachteiligte Kanadier durch Fortbildung unterstützt. „In einem Workshop habe ich gelernt, ein Budget zu erstellen und wie sich Zinsen entwickeln, wenn ich meine Kreditkartenschulden nicht abzahle. Und wie ich für Notfälle Geld zur Seite legen kann“, erzählt sie.

„Causeway“ steht mit diesem Angebot nicht allein da. „Financial Literacy“ ist in Kanada seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 zu einem wichtigen Thema aufgestiegen. Mit „Finanzwissen“ oder „Finanzkenntnisse“ kann es übersetzt werden – und es bezeichnet die Fähigkeit, verantwortungsvolle Finanzentscheidungen zu treffen.

Die Regierungen des Bundes und mehrerer Provinzen bemühen sich, das Finanzwissen der Kanadier zu erhöhen. „Die jüngsten Ereignisse haben uns gezeigt, dass es Risken gibt und Finanzwissen eine wichtige Fertigkeit ist“, sagte Finanzminister Jim Flaherty, als er 2009 eine Kommission einberief. „Ob es um das Sparen für den Ruhestand, den Kauf eines Hauses oder das Familienbudget geht, besseres Finanzwissen trägt zur Stabilität unserer Volkswirtschaft bei.“ In dem Bericht, der ein Jahr später vorlag, heißt es, „Financial Literacy“ sei eine Notwendigkeit – und nicht nur eine nette Fähigkeit, die man haben kann.

In einem Bericht für Ontarios Bildungsministerium aus dem Jahr 2010 wird betont, dass Finanzwissen „ein wichtiges Merkmal einer gut ausgebildeten Bevölkerung“ sei. Aufgeschreckt wurde Ontario durch Studien, die zeigten, dass das Wissen junger Menschen über ihre Finanzen und den Umgang mit Geld gering ist.

Thema ab der vierten Klasse

57 Prozent der Schüler erklärten, Schulen sollten mehr Wissen über den Umgang mit den persönlichen Finanzen bieten, und nur 38 Prozent glaubten sich in der Lage, nach dem Abitur ihre eigenen Finanzen zu managen. Das Ministerium reagierte schnell und gab Empfehlungen und Erwartungen heraus, wie „Financial Literacy“ in den Unterricht eingebaut werden kann. Finanzwissen soll in allen Fächern schon ab der vierten Klasse Thema sein.

Im Schulfach Kunst soll über die Mechanismen der Werbung gesprochen werden, in Geografie und Geschichte über die wirtschaftlichen Verflechtungen und Krisen, im Sozialkunde-Unterricht über private Budgetierung. In Wirtschaftskunde werden Kenntnisse über Firmenbilanzen gelehrt – sodass die Jugendlichen wissen, was Gewinn und Verlust, Einkommen, Rücklagen und Verbindlichkeiten sind.

Die Schüler werden auch auf langfristige Investitionsmöglichkeiten vorbereitet. Bonds und Fonds, RRSPs – Fonds zur Altersvorsorge – und steuerbegünstigte Sparguthaben sollen für sie keine Fremdwörter sein. „Schüler müssen die Fähigkeit haben, informierte Entscheidungen zu treffen. Sie müssen sich der Risken bewusst sein, die mit den Entscheidungen, die sie treffen, einhergehen“, erklärt das Ministerium in Toronto.

Wunsch oder Notwendigkeit?

Eine besondere Herausforderung ist dies für Menschen an der Armutsgrenze oder in Armut. „Wer im Jahr 12.000 oder 15.000 Dollar Einkommen hat, muss wissen, wie er jeden Dollar strecken kann“, erklärt Doug Pawson, Programmdirektor von „Causeway“. Wie funktioniert das Bankensystem, wie kann man sich vor Kreditgebern schützen, die das schnelle Geld versprechen, dann aber horrende Zinsen und Gebühren kassieren? „Jeder muss lernen zu unterscheiden, was Notwendigkeit und was Wunsch ist“, sagt seine Kollegin Florence Brake.

Seit dem Jahr 2010 bietet „Causeway“ Workshops über „Financial Literacy“ an. Rebecca hat dabei gelernt, mit einem Budget im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu leben und nebenbei zu sparen. Heute arbeitet sie in einem kleinen Dienstleistungsbetrieb, einem „social enterprise“. Die Kreditkarte ist in wenigen Monaten abgezahlt. Und im Sommer will sie eine Urlaubsreise in die Karibik machen. „Mit Flugtickets, die ich direkt bezahle, nicht über Kreditkarte“, sagt Rebecca mit einem Lächeln.

Auf einen Blick

In Kanada soll „Financial Literacy“, also „Finanzwissen“, ab der vierten Klasse in allen Unterrichtsfächern Thema sein. Eigene Organisationen unterstützen benachteiligte Bürger.

Die Serie VorBilder stellt in loser Folge Projekte vor, die Impulse für die heimische Bildungsdebatte geben können. Bisher erschienen: Dänemark, Großbritannien, Ungarn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2012)

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