Nicht nur Nostalgie

Wachaubahn: Glück, Ende und Auferstehung? – Mehr als 100 Jahre war die Wachaubahn das Hauptverkehrsmittel für Wachau- Besucher aus Wien und Linz. Nach ihrem Aus wird plötzlich ihre Bedeutung erkannt: Es mehren sich die Anzeichen für eine Revitalisierung.

Die Wachau stand im 19. Jahrhundert rund 50 Jahre im Schatten der Verkehrs- und Wirtschaftsentwicklung. Die Westbahn führte seit 1858 im Süden über St. Pölten am Donautal vorbei, wenngleich sie die Stadt Melk berührte und Krems seit 1872 durch eine Flügelbahn an die Franz-Josephs-Bahn angeschlossen war. Erst 1889 folgte die Bahnlinie Krems–St. Pölten. Die Wachauorte waren bis 1909 nur mit der Postkutsche zu erreichen.

Jahrzehntelang war um den Bau der Bahn gerungen worden. An der Spitze der „Localbahngesellschaft Krems–Grein– Mauthausen“ stand Leopold Heindl, Bürgermeister von Mauthausen, als Präsident des Verwaltungsrates. Ihm zur Seite stand der Holzhändler Carl Jedek, Bürgermeister von Spitz und christlichsozialer Reichsratsabgeordneter. Erst im Jahre 1905 gelang es, Gelder der Stadt Wien so sicherzustellen, dass mit dem Bau begonnen werden konnte. Als am 2. Dezember 1909 die Bahn Krems–Grein mit zwei festlichen Sonderzügen eröffnet wurde, war dies ein lokales Großereignis. Man hatte die Feier absichtlich an diesem Mittwoch angesetzt: Es war der Tag, an dem Kaiser Franz Joseph sein 61. Regierungsjahr vollendete.

Die Wachau war auf diesen Eingriff in das Erbe an Bauwerk und Landschaft gut vorbereitet. Erstmals in der Geschichte des Bahnbaus waren Denkmal- und Landschaftspflege von größerer Bedeutung. Dabei wurde der zukunftsweisende Schritt über das Einzeldenkmal hinaus zum Schutz der Kulturlandschaft getan. Der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand hatte großes Interesse an der Denkmal- und Landschaftspflege. Er war seit 1904 Ehrenmitglied und ab 1910 Protektor der „k. k. Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der kunst- und historischen Denkmale“. Auf der Suche nach einem Fachmann, der Franz Ferdinands Interessen in der Wachau wahrnehmen sollte, empfahl ihm der k. k. Statthalter des Landes Unter der Enns, des heutigen Niederösterreich, Erich Graf Kielmannsegg, den damals 30 Jahre alten Rudolf Pichler, der zum großen Lehrmeister der Heimatgestaltung in der Wachau werden sollte. Als Statthalterei-Ingenieur an der Bezirkshauptmannschaft Krems war er seit 1902 korrespondierendes Mitglied der „k. k. Zentral-Kommission“ und 1904/05 Sonderbeauftragter Franz Ferdinands bei allen Verhandlungen über den Bau der Bahn durch die Wachau. Pichler gehörte zum Kreis der Dürnsteiner Künstlerkolonie rund um den Bauingenieur Rudolf Mayreder (1864–1937). Beide erarbeiteten gemeinsam das technische Projekt der Linienführung der Wachaubahn. Mayreder hatte Rechtswissenschaften und Bauingenieurwesen studiert, war zehn Jahre Mitglied des Reichsrates, des Wiener Stadtrates und später erfolgreicher Zivilingenieur und Bauunternehmer. Sein Name ist mit vielen bedeutenden Bahnbauten in allen Gegenden der Monarchie verbunden. Rudolf Pichler hat seine Arbeit für die Wachaubahn sehr genau dokumentiert und veröffentlicht.

Falsche Entscheidungen

So haben wir heute einen guten Einblick in seine Leistung. Galt es zunächst die aus kommerziellen Gründen geplante generelle Führung der Trasse an der Donau abzuwehren, so war es in Folge in Stein, Dürnstein, Weißenkirchen, St. Michael, bei der Ruine Hinterhaus, bei der sagenumwobenen Teufelsmauer in Spitz und in Weitenegg notwendig, eine Führung im Tunnel durchzusetzen, um die Orte nicht durch einen Damm von der Donau abzuschneiden oder den Landschaftsraum zu stören. Doch auch falsche Entscheidungen wurden getroffen. Eine Sprengung von Felsmassen (65.000 Kubikmeter) am Fuße des Vogelberges, westlich von Dürnstein, wurde am 4. Mai 1909 von Franz Ferdinand persönlich gezündet. Das Ergebnis war eine starke Zerrüttung des Steingefüges und die Notwendigkeit, bis zum heutigen Tage immer wieder Sperren nach Felsstürzen oder Sicherungsmaßnahmen durchzuführen; zuletzt 2009 und 2011.

Die Bahn war bis zur Eröffnung der neu angelegten Bundesstraße im Oktober 1958 das einzige leistungsfähige Verkehrsmittel der Wachau. Sie war Voraussetzung für das Ansteigen des Fremdenverkehrs nach 1918 und Wegbereiter für den wirtschaftlichen Aufstieg. Mit der Verbindung Mauthausen–St. Valentin wurde die Wachau auch an die Westbahn angeschlossen. Für den Personenverkehr, für Wein-, Obst-, Holz-, Steintransporte und vieles andere mehr war sie bis 2010 der verlässliche, stets einsatzfähige Verkehrsträger. Mehr als 100 Jahre kamen Tausende Erholungssuchende mit der Bahn aus den Großräumen von Wien und Linz sicher und bequem in die Wachau.

Im Sommer 2006 geriet die Wachaubahn in den Sog der ungelösten Finanzierungsfragen der Nebenbahnen der ÖBB. Widersprüchliche Berichte über eine mögliche Einstellung beunruhigten die Öffentlichkeit. Im Stillen wurde verhandelt. Am 14. Jänner 2010 verkauften das Verkehrsministerium und die Bundesbahnen 630 Kilometer Nebenstrecken an das Land Niederösterreich, darunter die Wachaubahn von Krems bis an die oberösterreichische Grenze. Im Herbst 2010 wurde klar, dass der Wachaubahn die Einstellung des Regelverkehrs drohte. Trotz heftiger Proteste der ansässigen Bevölkerung, aber auch von Wachaufreunden des In- und Auslands fuhr am 11. Dezember 2010 der letzte fahrplanmäßige Zug. Stattdessen wurde ein Busverkehr eingerichtet. Die Holztransporte aus dem Waldviertel, früher auf den Güterbahnhöfen von Spitz und Weißenkirchen auf Züge verladen, belasten nunmehr die Straße. Im Vorfeld der Mautener Brücke, wo sich der Verkehr bündelt verkehren heute rund 80 Autobusse pro Tag. Auch in die alten Ortskerne von Loiben und Spitz wird durch die Busse im Stundentakt viel Unruhe gebracht. Den Schulkindern drohen beim Ein- und Aussteigen an der Bundesstraße die üblichen Gefahren.

Es wirkte wie der Fluch der bösen Tat, als am 15. Jänner 2011 ein kleines Hochwasser die Sperre der Wachaustraße notwendig machte. Das Bussystem brach zusammen, die Pendler am Bahnhof Krems erhielten ein Flugblatt mit den Worten: „Alle Fahrgäste für Destinationen in diesem Abschnitt werden gebeten, sich während der Zeit der Sperre, falls möglich, ein Taxi zu nehmen! Die Kosten für diese Fahrten werden vom Land NÖ refundiert.“ Man musste also Umwege über die unwegsamen nördlichen Wachauberge nehmen, um die Orte am linken Donauufer zu erreichen. Damit war die Unverzichtbarkeit der Wachaubahn als einzigen hochwassersicheren Verkehrsmittels eindrucksvoll bewiesen.

In den Achtzigerjahren plante die Landesregierung, die Wachaustraße wegen des zunehmenden Schwerverkehrs zu verbreitern. Hermann Knoflacher berichtete darüber im Dezember 2010 im „Spectrum“: „Hätte man diese Pläne umgesetzt, wäre nicht nur noch mehr Schwerverkehr erzeugt worden, man hätte längst eine Autobahn für dieses damit erzeugte ,Verkehrswachstum‘ bauen müssen, und die Wachau wäre heute kein Weltkulturerbe, sondern abgas- und lärmverseuchter Transitkorridor. Was damals nicht gelang, will man mit diesem brutalen Buskonzept und der Einstellung des Regelbetriebes der Bahn in der Wachau durch die Hintertüre tückisch bewerkstelligen.“ Knoflacher verwies dabei besonders auf Staaten zukunftsweisender Verkehrspolitik, dort werden Nebenbahnen nicht eingestellt, sondern ausgebaut oder wieder in Betrieb genommen, wie in der Schweiz, in mehreren deutschen Bundesländern und nicht zuletzt in Südtirol mit der Vintschgaubahn. Aber auch in Österreich gibt es Beispiele. So die Stern & Hafferl-Privatbahn zwischen Lambach, Vorchdorf und Gmunden, ebenso zwischen Vöcklamarkt und Attersee, wo seit September 2011 Niederflurgarnituren neuester Bauart verkehren.

Europäisches Naturschutzdiplom

Die Wachau ist rechtlich theoretisch noch nie so geschützt gewesen wie heute. Sie ist seit 1979 Landschaftsschutzgebiet, verfügt seit 1994 als erste Kulturlandschaft über das europäische Naturschutzdiplom und ist im Jahre 2000 in die Welterbeliste der Unesco als Kulturlandschaft aufgenommen worden. Die Bahnlinie, die Bahnhöfe und einige Nebengebäude, wie der Wasserturm von Spitz, stehen seit April 1999 unter Denkmalschutz. Sie ist in der Begründung zum Welterbe achtmal genannt, sie müsste daher „in Bestand und Wertigkeit erhalten werden“, das heißt als Bahn im Regelverkehr für das Alltagsleben der Bewohner und nicht bloß als sommerliche „Nostalgiebahn“, als „rollender Heuriger“ für den Tourismus, wie dies im Sommer 2011 an Wochenenden mit einigen „künstlerisch versprayten“ Garnituren geschehen ist.

Spät, aber doch scheint sich Niederösterreich allerdings aus der Hand der „Eventmanager“ und der „Buslobbyisten“ zu befreien. Ende Dezember 2011 meldete die Niederösterreichische Verkehrsorganisationsgesellschaft (Növog), dass mit 1. Jänner 2012 das gesamte Landesbahn-Streckennetz an die „ARGE Bahnbau Austria“ übergeben wird. Sie ist aus zwei Unternehmen durch ein EU-weites Vergabeverfahren hervorgegangen. Einer der Partner „ist das Bauunternehmen Leonhard Weiss GmbH & Co KG mit Sitz in Göppingen, die bereits seit 2004 die Südtiroler Vintschgaubahn betreut. Diese Bahnstrecke gilt als Musterbeispiel für die erfolgreiche Wiederaufnahme des Betriebes einer bereits eingestellten Bahnstrecke“, so eine Presseaussendung der Növog vom vergangenen Dezember. Dies muss Vorbild für die Wachau sein.

Noch steht ein politischer Auftrag für die Revitalisierung aus. Noch gibt es Bauträger und Immobilienverwerter, die vom Land einen Verkauf der Frachtenbahnhofsgelände in Weißenkirchen und Spitz erwarten und mit einer hohen Rendite durch Bebauung rechnen. Doch gibt es durch die geschilderte Professionalisierung der NÖVOG Anzeichen, dass es auch für die Wachaubahn eine Wiederinbetriebnahme geben wird, so wie das schon bei der Mariazellerbahn im Mai 2011 erfolgreich geschehen ist. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2012)

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