"VatiLeaks": Spekulationen um Mordkomplott

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Interne Dokumente aus dem Kirchenstaat sind am Vorabend der Kardinalsversammlung an die Öffentlichkeit gelangt. Es geht ein dunkles Raunen im Vatikan um. Zweifellos gibt es Maulwürfe im kleinsten Staat der Welt.

Rom. Der kleinste Staat der Welt gehört normalerweise auch zu den verschwiegensten. Selten nur dringen Nachrichten durch die hohen Mauern, die den Vatikan umgeben, nach außen, und wenn, dann nur in Form von Spekulationen. Das ist schon seit Jahrhunderten so und liefert auch zeitgenössischen Autoren vom Schlage eines Dan Brown noch reichlich Erzählstoff. Doch dieser Tage scheint im Vatikan nichts mehr normal zu sein.

Selbst Papstsprecher Federico Lombardi, in der Regel die Diskretion in Person, griff am Vorabend der für heute, Samstag, angesetzten Versammlung der Kardinäle, bei der 22 Neue ins wichtigste Beratergremium des Papstes gewählt werden sollen, zu einem drastischen Vergleich: Es geht ein dunkles Raunen im Vatikan um, seit Wochen schon finden mit so schöner Regelmäßigkeit interne Dokumente ihren Weg in die Medien, dass Lombardi bereits von „VatiLeaks“ spricht. Das sagte er zwar ein wenig spöttisch. An der Tatsache, dass er derzeit täglich Anfragen abwehren und Vermutungen dementieren muss, ändert das nichts. Bisheriger Höhepunkt der Verschwörungstheorien ist ein internes, auf Deutsch verfasstes Papier, dessen unbekannter Verfasser dem Papst lediglich noch ein Jahr Lebenszeit attestiert – auch deshalb suche er bereits nach einem Nachfolger und wolle mit dem Kreieren neuer Kardinäle die Weichen für das nächste Konklave stellen.

Bekannt gemacht haben soll die Attentatspläne der Kardinal von Palermo Paolo Romeo, und zwar auf einer China-Reise. Der dementierte zwar, doch über die investigative Zeitung „Il Fatto Quotidiano“ kam die heikle Causa an die Öffentlichkeit. Die Aufregung war perfekt. Ein Mordkomplott gegen den Papst? Eine Renaissance-Intrige wie zu Zeiten der Borgia? Nach außen hin versucht man abzuwiegeln. „Notizen über ein Mordkomplott gegen den Papst, das sind Wahnvorstellungen, die niemand ernst nehmen kann, der einen Kopf auf hat“, so Lombardis ungewohnt scharfer Kommentar.

Zweifellos aber gibt es Maulwürfe im Vatikan, die Interesse daran haben, dass Interna nach außen dringen. Bleibt die Frage des Cui bono. Wem nutzen, wem schaden die Enthüllungen? Wer kämpft gegen wen in der Kurie? Geht es um Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, nach Papst Benedikt XVI. die Nummer zwei im Kirchenstaat? Sicher ist, dass Bertone viele Feinde hat. Den einen ist er zu mächtig, andere halten ihn schlicht für nicht fähig, die „Regierung“ des Vatikans zu leiten.

Frage nach dem Cui bono

Seit Wochen schon steht die Kurie auch wieder unter Verdacht, es mit den Bekenntnissen zu mehr Transparenz und weniger Korruption nicht sonderlich ernst zu nehmen. Bereits im Jänner hatte ebenfalls „Il Fatto Quotidiano“ zwei Briefe von Erzbischof Carlo Maria Viganò publiziert, die direkt an den Papst gerichtet waren. Darin beklagte sich der einstige Verwaltungsmann, der in der Zwischenzeit nach Washington strafversetzt wurde, bitter über schwere Misswirtschaft. Dann fanden auch noch interne Dokumente über die immer noch nicht sehr sauberen Gepflogenheiten der Vatikanbank ihren Weg in die Öffentlichkeit.

Cui bono also? Es stehe Wichtiges auf dem Spiel, befand Pater Lombardi: die Reformen, die der Papst und die Kurie eingeleitet hätten, nicht zuletzt nach den Missbrauchsfällen. Auch das gefällt längst nicht allen. Insider haben ausgerechnet, wie sich die Machtverhältnisse im Konklave mit den neuen Kardinälen verschieben – das Gremium, das den nächsten Papst wählen wird, wird demnach wieder europäischer und auch italienischer. Das gibt Stoff für neues Raunen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2012)

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