Ostöffnung: Hallo Nachbar! Die späte Versöhnung

Ostoeffnung Hallo Nachbar spaete
Ostoeffnung Hallo Nachbar spaete(c) Clemens Fabry
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Eine Generation hat es gebraucht, bis die Österreicher die Ostöffnung verkraftet haben. In den letzten zehn Jahren hat sich die Stimmung radikal verbessert, belegt eine neue Studie.

Wien. Arbeiterkammerpräsident Herbert Tumpel hatte sich um die „soziale Stabilität“ des Landes gesorgt. Der damalige FPÖ-Wirtschaftssprecher Thomas Prinzhorn bezeichnete 1998 die Osterweiterung als „vollkommen entbehrlich“. Es würde zu keiner Belebung der Wirtschaft kommen, sondern zu einem Druck auf den Arbeitsmarkt. FPÖ-Parteichef Jörg Haider warnte vor 300.000 Zuwanderern.

14 Jahre später hat sich das Bild völlig gewandelt. Die Horrorszenarien sind nicht eingetreten. Auch die Stimmung in der Bevölkerung hat sich laut einer aktuellen Studie der Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE) radikal verbessert. Die ÖGfE hat die Einwohner in Regionen diesseits und jenseits der gemeinsamen Grenze mit Tschechien, der Slowakei und Ungarn schon vor zehn Jahren befragt. Damals dominierte Skepsis, heute hingegen eine positive Stimmung. Niederösterreicher etwa, die nahe an der Slowakei wohnen, bewerten mittlerweile mit klarer Mehrheit (58 Prozent) die Auswirkungen der Öffnung der Grenze nach dem Fall des Eisernen Vorhangs als „positiv“. Das sind um 19 Prozentpunkte mehr als 2001. In den restlichen Grenzregionen hat sich das Bild ähnlich verändert. „Dieser Stimmungswandel hat damit zu tun, dass es immer mehr persönliche Kontakte gibt“, so Paul Schmidt, Generalsekretär der ÖGfE. Tatsächlich haben sich laut der Umfrage die persönlichen Kontakte in gleichem Maß erhöht wie die positive Stimmung.

Die Österreicher fahren heute öfter zu Kurzaufenthalten in die Nachbarregionen als vor zehn Jahren. Während sie vor allem touristische Ziele besuchen, kommen die Bewohner der Grenzregionen in Tschechien, der Slowakei und Ungarn vorwiegend zum Einkaufen nach Österreich. Das bringt neue Kaufkraft in die einst wirtschaftlich schwachen Gebiete Ostösterreichs. So verwundert es nicht, dass die heimische Bevölkerung mittlerweile eine positive Bilanz für den Arbeitsmarkt zieht. 48 Prozent der Befragten in Oberösterreich, 40 Prozent im Burgenland, 36Prozent in der niederösterreichischen Region nahe der Slowakei und 34 Prozent in der Region an der tschechischen Grenze orten eine „positive Entwicklung“ auf dem Arbeitsmarkt. Nur eine Minderheit sieht dies negativ.

Jenseits der Grenze wird die Lage noch positiver eingeschätzt, mit Ausnahme von Ungarn. So geben 69 Prozent der Slowaken, die in der Nähe der österreichischen Grenze leben, an, es gebe heute deutlich mehr Arbeitsmöglichkeiten. „Die Grenzregionen besitzen ein hohes wirtschaftliches und touristisches Potenzial. Es ist eine Win-win-Situation für beide Seiten“, so Schmidt.

„Da warten über eine Million Menschen – die verzweifelt sind, die arbeitslos sind“, warnte FPÖ-Chef Heinz Christian Strache vor der Arbeitsmarktöffnung am 1. Mai des vergangenen Jahres. Die Umfrage der Gesellschaft für Europapolitik belegt allerdings, dass solche Aussagen mittlerweile keine Ängste mehr auslösen. 56 Prozent der Bewohner an der slowakischen Grenze und 63 Prozent der Bewohner an der tschechischen Grenze rechnen mit „wenigen“ beziehungsweise „fast keinen“ Arbeitskräften, die einpendeln. Laut einer jüngsten Statistik des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger arbeiten seit 1. Mai tatsächlich nur 1644 Ungarn zusätzlich im Burgenland. 1018 Slowaken haben eine Arbeit im benachbarten Niederösterreich angenommen.

Angst vor Kriminalität bleibt

(c) Die Presse / GK

Ein Wermutstropfen bleibt die Einschätzung der Kriminalität. Mehrheitlich ortet die österreichische Bevölkerung an der Grenze eine negative Entwicklung nach der Ostöffnung. Schmidt sieht hier allerdings auch eine „Diskrepanz zwischen gefühlter Wahrnehmung und den tatsächlichen Fakten“. Der ÖGfE-Chef belegt dies mit der Anzahl der angezeigten Straftaten in den Grenzregionen. Demnach hat sich die Zahl der Anzeigen in den niederösterreichischen und burgenländischen Grenzbezirken zwischen 2004 und 2011 wieder deutlich reduziert. Die Vorbehalte in der Bevölkerung aber blieben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2012)

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