Eine absurde Situation: Derzeit verhandeln neun Gebietskrankenkassen mit neun Ärztekammern neun verschiedene Tarife.
Solange keine echten Strukturreformen durchgeführt werden, ist eine weitere Belastung auch der Besserverdiener nicht akzeptabel. Im Gesundheitssystem sehe ich als Ärztin bisher noch keinen sinnvollen Ansatz für solche Strukturreformen.
Dass die Gebietskrankenkassen ihr Defizit abbauen konnten, liegt leider nicht an strukturellen Maßnahmen, sondern daran, dass der Zugang zu nötigen Untersuchungen verzögert wurde und dass besonders Wahlarztpatienten, die wegen der 80-Prozent-Regelung bei der Rückvergütung ohnehin schon geringere Kosten für die Krankenkassen verursachen als Kassenpatienten, manche Medikamente nicht mehr bewilligt bekommen.
Eine strukturelle Reform muss Spitäler und den niedergelassenen Bereich gleichzeitig behandeln. Grundvoraussetzung ist eine Finanzierung aus gleichen Quellen.
Derzeit wird der niedergelassene Bereich nur durch die Krankenkassen finanziert (Ausnahmen Vorsorgeuntersuchung und Mutter-Kind-Pass). Das führt dazu, dass die Kassen möglichst viel in den stationären Bereich verlagern, da dort die Kassen nur 35 Prozent, Land und Bund (also eigentlich die Steuerzahler) die restlichen 65 Prozent begleichen. Damit werden die Gesundheitskosten sicher nicht gesenkt. Und wie mir eine Chefärztin der Wiener GKK erklärte, ist das der Krankenkasse egal, solange die GKK weniger zahlen muss.
Neunklassensystem
Übrigens, wir brauchen auch keine neun Gebietskrankenkassen, die mit neun Ärztekammern neun verschiedene Tarife verhandeln, und somit österreichweit ein Neunklassensystem kreieren.
In Österreich zahlt jeder Angestellte mit dem gleichen Einkommen auch gleiche Krankenkassenbeiträge. Was er dafür von der Krankenkasse bekommt, ist allerdings unterschiedlich. Das stellt für mich eine Ungleichbehandlung der Bürger dar, die nie zur Sprache kommt. Es wird immer nur von der Zweiklassenmedizin „Sozialversicherung gegen Privatversicherung“ gesprochen. In der Privatversicherung aber zahlt ein Teil der Bevölkerung zusätzlich ein, um sich Arzt und Krankenhaus aussuchen zu können. Ich sehe daran nichts Anstößiges, weil manchem die Gesundheit eben mehr wert ist.
Fünf konkrete Maßnahmen
Als Betreiber eines Ärztezentrums muss ich immer wieder feststellen, dass auch im Privatversicherungsbereich Hürden auferlegt werden, wenn man in der Ordination operative Leistungen günstiger anbietet als im Krankenhaus.
Wir brauchen eine strukturelle Reform des Gesundheitswesens, ganz konkret brauchen wir:
• Erstens eine Finanzierung des stationären und niedergelassenen Bereichs aus einem Topf.
• Zweitens eine Aktualisierung des Leistungskataloges.
• Drittens eine Vernetzung des stationären und niedergelassenen Bereiches mit klaren Aufgabentrennungen; alle ambulanten Diagnosen und Therapien haben im Spital nichts zu suchen.
• Viertens eine Verlängerung der Öffnungszeiten in den Ordinationen durch brauchbare Modelle von Ärztekooperationen.
• Fünftens eine Aufteilung der Spitäler in Akutspitäler und Rehab-Spitäler. In Letzteren können Patienten, die nicht mehr rund um die Uhr den Facharzt brauchen, aber vermehrter Pflege bedürfen oder auf einen Pflegeplatz warten, kostengünstiger betreut werden.
Wenn unsere Politiker vielleicht einmal doch an die Menschen denken, die sie vertreten sollen, dann wäre unser Anreiz, gültig zu wählen, wieder gegeben. Derzeit fühle ich mich als Ärztin und als Patientin von der Gesundheitspolitik im Stich gelassen.
Ilona Rost ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und ärztliche Leiterin der Villa Medica in Mödling.
E-Mails an: debatte@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2012)