Timoschenko-Tochter: „Versuche so stark zu sein wie Mutter“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die 32-jährige Tochter der inhaftierten Politikerin Julia Timoschenko, die seit Oktober 2011 wegen Amtsmissbrauchs eine siebenjährige Haftstrafe absitzt, wirft den ukrainischen Behörden Erpressung vor.

Wien. Vermutlich ist sie die prominenteste Gefängnisinsassin Europas: Julia Timoschenko, Ex-Ministerpräsidentin der Ukraine, sitzt seit Oktober 2011 wegen Amtsmissbrauchs eine siebenjährige Haftstrafe ab – seit Ende Dezember in einer Strafkolonie im ostukrainischen Charkiw. Sie sei zu Unrecht verurteilt worden, sagen Anhänger wie ihre 32-jährige Tochter Jewgenija Timoschenko, die gestern bei der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien vorsprach: Timoschenko habe 2009 beim Abschluss des Gasliefervertrags mit Russland ihr Mandat nicht – wie beschuldigt – überschritten; sie sei ein „politischer Häftling“.

Timoschenkos Vertraute sprechen schon länger von einem besorgniserregenden Gesundheitszustand der Politikerin. Die bisherigen Aussagen eines kanadisch-deutschen Ärzteteams scheinen dies – in Teilen – zu bestätigen: Sie sei „ernsthaft krank“, sagt Karl Max Einhäupl, Arzt der Berliner Charité. Der kanadische Arzt Peter Kujtan bestätigt, die 51-Jährige leide unter „ständigen Schmerzen“. Die ukrainischen Behörden versagten Timoschenko bisher eine medizinische Behandlung. Sie sei bei guter Gesundheit, hieß es. „Die Presse“ bat Timoschenkos Tochter Jewgenija zum Gespräch.

Wann haben Sie Ihre Mutter zum letzten Mal gesehen?

Vor zwei Wochen. Ich wollte bei der Visite des kanadisch-deutschen Ärzteteams dabei sein, man hat mich aber nicht zu ihr vorgelassen.

Mit welcher Begründung?

Die Gefängnisverwaltung nannte mir keine Gründe. Auch ihrem Verteidiger Sergej Wlassenko verwehrte man den Zutritt – obwohl er Abgeordneter ist, und er laut Gesetz ohne Vorankündigung ins Gefängnis kommen darf.

In welcher Verfassung war sie damals?

Meine Mutter kann seit November 2011 nicht mehr gehen. Ihr Zustand hat sich wegen des psychologischen Drucks verschlimmert.

Was meinen Sie damit?

Sie steht unter ständiger Videobeobachtung, was normalerweise nur unter besonderen Bedingungen erlaubt ist – wenn etwa die Gefahr eines Aufstands besteht. Aber sie kann ja nicht mal gehen! Man versuchte sie auch durch einen einwöchigen Entzug von Schmerzmitteln unter Druck zu setzen.

Die Arztvisite sollte Klarheit über Julia Timoschenkos Gesundheitszustand bringen. Waren die Ärzte erfolgreich?

Nur wenn die Wahrheit herauskommt, wird sie eine Chance auf medizinische Behandlung haben. Allerdings: Die Ärzte durften keine toxikologische Analyse machen, man hat ihnen mit rechtlichen Konsequenzen gedroht. Und nach der Untersuchung wurde drei Stunden darüber debattiert, wer die Diagnose ausgeben darf. Das ukrainische Gesundheitsministerium verbreitete später Jubelmeldungen. Die ausländischen Ärzte sagen hingegen: Sie ist krank, sie hat Schmerzen. Sie werden nun Empfehlungen verschreiben.

Sie sprechen vor internationalen Foren, westliche Regierungen haben sich kritisch zum Fall Timoschenko geäußert. In der Ukraine ist die große Protestwelle bisher ausgeblieben. Hat man Timoschenko schon vergessen?

Nein, ihre Popularität steigt sogar. Doch die Menschen haben Angst. Zu den Demonstrationen kommen mehr Polizisten als Protestierende. Derzeit wächst die Proteststimmung in der Ukraine, es könnte sein, dass es nicht mehr lang dauert, bis sich das Volk wieder erhebt – wie damals bei der Orangen Revolution 2004/2005.

Die ukrainischen Politiker – auch Timoschenko – haben mit einem Vertrauensverlust zu kämpfen. Die heutige Opposition ist doch nur die Regierung von gestern, hört man oft.

An dieser Haltung sind die vom Regime kontrollierten Medien schuld. Diese Leute bewerfen meine Mutter mit Dreck, weil sie eine prominente Oppositionspolitikerin ist. Man versucht ihr Image zu schädigen, das ist offensichtlich. Sie wollen nicht, dass sie Menschen hinter sich vereint – so wie früher.

Sind Sie bereit, sich die Finger in der ukrainischen Politik schmutzig zu machen?

Nein. Ich habe nur eine Aufgabe: meiner Mutter zu helfen.

Aber es gibt Gerüchte, wonach Sie bei den Parlamentswahlen im Oktober an die Spitze der Liste von Timoschenkos „Vaterlandspartei“ gesetzt werden.

Das sind Spekulationen. Ich war niemals Politikerin und werde niemals eine sein. Anders als meine Mutter, die eine Politikerin sein muss.

Und wenn Ihre Mutter in Haft bleibt?

Nein, auch dann nicht. Sie ist auf dem ersten Platz. Niemand kann sie ersetzen, niemand kann ihren Platz einnehmen. Sie ist eine sehr starke Anführerin.

Kritiker sagen, dass die Partei zu hierarchisch strukturiert sei.

Ich bin keine Politikerin. Die Mitglieder, die noch immer dabei sind, glauben an die Partei – trotz des Drucks, der auf sie ausgeübt wird.

Ist es eigentlich schwierig, die Tochter einer so starken, fordernden Frau zu sein?

Sie ist meine Mutter. Sie ist nicht fordernd, sondern sehr liebevoll. Ich habe große Sorge um sie, dass sie getötet werden könnte. Ich versuche so stark zu sein wie sie.

Zur Person

Jewgenija Timoschenko (32) ist die Tochter von Julia Timoschenko, die im Oktober 2011 zu einer siebenjährigen Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs verurteilt wurde. Das Verfahren und der Schuldspruch gelten international als umstritten. Die Europäische Union kritisierte den Prozess als politisch motiviert und verlangt die Freilassung Timoschenkos. Die Unterzeichnung des geplanten Assoziierungsabkommens liegt deswegen auf Eis.
Jewgenija Timoschenko studierte an der „London School of Economics“. Sie ist nach eigenen Angaben in die Ukraine zurückgekehrt, um ihrer Mutter zur Seite zu stehen. Der Vater der 32-Jährigen, Alexander, befindet sich seit Jahresbeginn im tschechischen Asyl. Er soll dort auch Firmenanteile besitzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2012)

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