Serbiens Chance auf Überwindung des Nationalismus

Österreich hat sich mit dem Eintreten für die Südosterweiterung auch für seine Position in der Europäischen Union einen guten Dienst erwiesen.

Manchmal ist es erfrischend, querzudenken: Dann kann sogar die Logik einer festgefahrenen negativen Stimmung in konstruktives Handeln umgewandelt werden. Allein der Versuch, trotz der schweren Haushaltskrise in Griechenland dieser Tage den EU-Beitritt eines südosteuropäischen Landes voranzutreiben, ist mutig.

Wenn dank des Engagements der österreichischen Außenpolitik in der EU in diesen Tagen ein Durchbruch bei der Annäherung Serbiens gelingt, ist das alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Sollte Belgrad den Kandidatenstatus erhalten, bedeutet das zwar noch keinen Beginn von Beitrittsverhandlungen, aber es ist für das Land der nächste große Schritt in Richtung Mitgliedschaft.

„Zu früh“, mögen manche argumentieren. Serbien sei wirtschaftlich noch nicht so weit. Die Statusfrage für den Kosovo sei ungelöst, und die Union laufe Gefahr, sich ein zweites Nordzypern-Problem einzuhandeln. Aber darum geht es in dieser Phase überhaupt nicht. Die EU-Erweiterung muss vielmehr als das effizienteste außenpolitische Werkzeug der Gemeinschaft gesehen werden. Es trägt dazu bei, diesen Kontinent zu befrieden, Konflikte zu lösen und problematische Regionen wirtschaftlich wie politisch zu öffnen. Österreichs Regierung hat dies nach der völlig verschlafenen Osterweiterung erkannt und dieses Werkzeug seitdem auf dem Westbalkan angewandt. Die Begleitung des aufstrebenden Sloweniens in den EU-Binnenmarkt und die Motivation für Kroatien, sich von seinem selbstgefälligen Nationalismus zu lösen, wurden durch Verlockungen einer EU-Mitgliedschaft erreicht.

Es sollte auch heimischen EU-Skeptikern zu denken geben, dass die Europäische Union nach wie vor eine so große Anziehungskraft hat, dass für sie korrupte Justizsysteme, im Argen liegende Sicherheitsapparate und protektionistische Wirtschaftssysteme aufgebrochen werden. Auch Serbien hat zuletzt mehrfach signalisiert, dass es zu all dem bereit ist.

Es ist deshalb gut und richtig, dem Land die nächste Tür in Richtung EU-Mitgliedschaft zu öffnen. Natürlich darf das nicht darüber hinwegtäuschen, wie viele Reformen noch notwendig sind. Die organisierte Kriminalität muss konsequent bekämpft werden. Es besteht auch kein Zweifel daran, dass die Zukunft des Kosovo vor einer Mitgliedschaft Serbiens gelöst werden muss. Das Land erhält mit dem Kandidatenstatus nicht mehr und nicht weniger als die Chance, seinen gefährlichen Nationalismus zu überwinden.

So nachvollziehbar die nationale Rückbesinnung von Ländern wie Kroatien oder Serbien nach dem Zerfall Jugoslawiens war, sie war letztlich die Triebfeder des größten ethnischen Konflikts in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit der offenen Tür in die EU erhält in Südosteuropa ein Land nach dem anderen die Chance, diesen blutigen, destruktiven Teil seiner Geschichte hinter sich zu lassen. Es ist ein schwerer Weg, auch für Serbien. Denn die Wunden und Verbrechen des Kosovo-Kriegs von 1989 und 1999 sind auf allen Seiten weder verheilt noch vergessen. Außerdem wird es kaum gelingen, die nach wie vor vorhandenen Spannungen zwischen der mehrheitlich albanischen Bevölkerung des Kosovo und der serbischen Minderheit aufzulösen, ohne auch der ehemaligen serbischen Provinz eine Perspektive auf Beitritt in die EU als unabhängiger Staat zu geben.

Erfreulich ist jedenfalls, dass Österreich gemeinsam mit Frankreich und Italien mit seinem Eintreten für eine EU-Annäherung Serbiens eine aktive außenpolitische Rolle übernommen hat. Es mag eine Politik sein, mit der Außenminister Michael Spindelegger bei der eigenen Bevölkerung derzeit wenig punktet, weil positiv-konstruktive Nachrichten zur Europäischen Union selbst in manchen bürgerlichen Kreisen nur noch als emotionale Provokation wahrgenommen werden.

Dieses Engagement stärkt Österreich jedenfalls in anderen europapolitischen Fragen den Rücken. Es zeigt, dass sich unser Land an der Befriedung des Kontinents beteiligt. Und es belegt letztlich auch, dass die Zukunft Europas nicht in der Rückbesinnung auf einen engstirnigen Nationalismus, sondern in der weiteren Zusammenarbeit liegt.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2012)

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