Ungarns Welt von gestern

Der erste Band von Miklós Bánffys Trilogie „Siebenbürger Geschichte“ liegt endlich auch auf Deutsch vor: „Die Schrift in Flammen“ ist so elegisch und elegant wie ein Roman von Joseph Roth.

Miklós Bánffys Trilogie „Siebenbürger Geschichte“ beginnt mit einem Wetterbericht, so wie Robert Musils fast zeitgleich entstandenerRoman „Der Mann ohne Eigenschaften“, allerdings nicht derart kühl und intellektuell, mit den Mitteln der Moderne, sondern idyllisch wie aus der Welt von gestern: „Ein schöner, sonniger Nachmittag Anfang September.“ Es ist die ideale Zeit für eine Jagd, und mit der Rückkehr von solch einem bunten Treiben, bei dem bereits die Protagonisten und viele weitere Charaktere treffsicher vorgestellt werden, setzt die Geschichte auch ein, die von 1904 bis zum Ersten Weltkrieg 1914 führt. Doch der Titel und das Motto des ersten Bandes warnen bereits davor, dieses Werk, in dessen Mittelpunkt der ungarische Adel steht, als ein naiv strahlendes voll Glanz und Glorie zu lesen, mit jubilierenden Lerchen, die „in den gleißenden Himmel“ fliegen: „Die Schrift in Flammen“ ist ein Zitat aus dem Buch Daniel, es geht um die Zeichen an der Wand, die den Hof des prassenden Königs Belsazar verfluchen.

Bánffys Roman, der im Umfang mit dem von Musil zu vergleichen ist, handelt ebenfalls vom Untergang des Habsburgerreiches. Er schreibt mit einer Melancholie, die an die Prosa Joseph Roths erinnert. Reizvoll daran ist vor allem, dass diese Endzeit aus der Perspektive der Magyaren geschildert wird. Die beiden Helden des Romans zählen zur herrschenden Klasse der Ungarn in Siebenbürgen. Der Erzähler begleitet sie auf ihre Bälle, ihre Jagden, er ist bei ihren Amouren dabei und auch im Parlament in Budapest, wo sich die Explosivkraft des Nationalismus deutlich zeigt. Der reiche Graf Bálint Abády, aus ältestem Adel stammend, ist ein junger Abgeordneter mit liberalen Ansichten und dem Willen zur Reform. Seinen Verwandten Graf László Gyeröffy, das Waisenkind, zieht es mehr zu den Künsten. Beide Charaktere tragen auch manche Züge des Autors, die Orte der Handlung sind kaum verhüllt jene, an denen auch Bánffy gelebt hat.

Abády und Gyeröffy haben jeweils eine große Liebe. Der eine verehrt die bereits verheiratete Adrienne, der andere seine Cousine Klára. Über hunderte Seiten ziehen sich die Annäherungen, die von den geltenden Konventionen behindert werden. Bei solchenStellen liest sich das Buch wie eine raffinierte Romanze, verräterische Briefe, wachsame Mütter und leidende Dienstmädchen inklusive. Über weite Strecken sind diese unmöglichen Beziehungen ein Sich-Versagen: Er musste seine ganze Kraft aufbieten, damit Addy das in ihm tobende wilde Verlangen nicht bemerkte. Nur auf diese Art vermochte er gemessen und kühl zu bleiben. – Die Lust kommt oft zu kurz und meist zu spät: „Und seine Einbildungskraft malte ihm in ungewissen Vorstellungen betörend lüsterne Bilder aus“, heißt es nach einem dieser frustrierenden Abschiede, die effektvoll immer am Ende eines Abschnitts erfolgen. Bei allen psychologisierenden Tricks ähnelt solches Getändel vielleicht doch zu sehr heutiger Trivialliteratur. Großartig ist hingegen, wie eine andere Leidenschaft, die Spielsucht Gyeröffys, dargestellt wird. Sein Abstieg wird fast wie ein innerer Monolog gebracht, das erzeugt Sogwirkung.

Auch jene Szenen, die sich mit der Politik, den Bergbauern und den Vergnügungen der gehobenen Gesellschaft befassen, haben das Jahrhundert gut überstanden. Bánnfy ist ein strenger Kritiker seiner Zeit, er versteht das Handwerk des Vivisecteurs, wenn mit kaum verhüllter Ironie dumme Duelle oder aufgeblasene Helden aufgespießt werden, wenn er das Elend der Dorfbevölkerung beschreibt, die korrupten Notaren und nicht minder schlimmen Verwaltern ausgeliefert ist. Bürger und Arbeiter spielen eine untergeordnete beziehungsweise gar keine Rolle, Politik und Geschichte hingegen eine wichtige. Die Auflösung des Parlaments, bei der nach theatralischer Verwirrung Soldaten aufmarschieren, liest sich aus Sicht Abádys, der als einer der Letzten das Gebäude verlässt, so: Sie huschten gerade noch durch, denn ein Hauptmann war schon dabei, seine Mannschaft vor der breiten Glastür aufzustellen. Bálint war flinker als sein schwerfällig schreitender Begleiter. Er empfand das Komische ihrer Lage und rief nach hinten: „Beeil dich, mein Freund, sonst werden wir unsere Mäntel im Wiener Zeughaus wiedersehen!“

Nach der Lektüre hat man nicht nur eine ungefähre Vorstellung vom Untergang des Hauses Habsburg, von den Konflikten des Vielvölkerstaates, sondern auch einen ziemlich umfassenden Eindruck von der Lebensweise an dessen Peripherie. In liebevollen Details wird das ländliche Siebenbürgen beschrieben. Die Erzählung hat Spannkraft und den langen Atem eines viktorianischen Wälzers, Andreas Oplatka bewahrt in seiner Übersetzung auch den eleganten Stil und die Präzision Bánffys. Dieser monumentale Gesellschaftsroman leistet jedoch viel mehr, er eröffnet differenzierte Einsichten. Das ist auch biografisch begründet. Hier schreibt jemand aus Erfahrung. Der 1873 in Klausenburg geborene Autor studierte Rechtswissenschaften und leitete von 1912 bis 1918 in Budapest Oper und Nationaltheater. 1921/22war er nach der Staatsgründung ungarischer Außenminister. 1926 entschied er sich für die rumänische Staatsangehörigkeit. Seine Trilogie, das Spätwerk, wurde 1934 bis 1940 veröffentlicht und war immens erfolgreich, aber dem KP-Regime nach 1945 nicht genehm. Er starb 1950 verarmt und fast vergessen in Budapest. Seine Renaissance in Ungarn setzte in den Achtzigerjahren ein. Zu Recht. Es ist deshalb auch ein Glücksfall, dass diese Wiederentdeckung nun in deutscher Sprache ermöglicht wird. ■


Kommenden Dienstag, 28. Februar, wird Bánffys Roman in Wien in der ungarischen Botschaft vorgestellt: 19 Uhr, Bankgasse 4–6.




Miklós Bánffy
Die Schrift in Flammen

Band I der Romantrilogie „Siebenbürger Geschichte“.
Aus dem Ungarischen von Andreas Oplatka. 800 S., geb.,
€ 28,70 (Zsolnay Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2012)

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