Bescheidenes Ergebnis des Treffens der Syrien-Kontaktgruppe in Tunis. Zuvor wurde mit Kofi Annan ein höchstrangiger UN-Sondervermittler ernannt, den auch Russland respektiert.
Tunis/Kairo. Tumult vor dem Konferenzzentrum in Tunis. Rund 300 Pro-Assad-Demonstranten versuchten das Konferenzhotel, in dem das erste Treffen der „Freunde Syriens“ stattfand, zu stürmen, doch die Sicherheitskräfte trieben die Demonstranten auseinander.
Die Vertreter von über 60 Staaten waren zur Wiege des Arabischen Frühlings gekommen, um zu besprechen, wie in Syrien weiter verfahren werden soll. Die UN-Vetomächte Russland und China sind der Konferenz demonstrativ ferngeblieben. Der internationale Kreis, der sich nach der gescheiterten UN-Resolution im Weltsicherheitsrat gebildet hatte, verlangte im Entwurf seines Abschlusskommuniqués ultimativ, dass das syrischen Regime binnen 72 Stunden „einen Waffenstillstand ausruft und fordert einen sofortigen und ungehinderten Zugang für die Vereinten Nationen und humanitäre Organisationen“.
Andernfalls drohen die Staaten der Syrien-Kontaktgruppe mit „weiteren Sanktionen, Beschlagnahme von Vermögen, dem Stopp aller Ölkäufe sowie der Schließung aller Botschaften in Damaskus und der Ausweisung der syrischen Botschafter aus ihren Hauptstädten“. Gleichzeitig fordern die versammelten Diplomaten Präsident Bashar al-Assad erneut auf abzutreten, die Macht an seinen Vizepräsidenten zu übergeben und freie Wahlen unter internationaler Beobachtung zuzulassen. Der tunesische Präsident Moncef Marzouki legte Assad nahe, mit seiner Familie nach Russland ins Exil zu gehen.
Österreich hilft mit 250.000 €
Die von der Opposition geforderte und in den USA angedachte Bewaffnung der Rebellen soll wohl bei der Konferenz zur Sprache gekommen sein, viele Teilnehmer fürchten aber, dass dies die Ausweitung des Bürgerkriegs und ein mögliches Überschwappen des Konflikts auf Nachbarländer beschleunigen könnte. Österreich ist durch Staatssekretär Wolfgang Waldner (ÖVP) vertreten. „Jeder Tag, an dem noch mehr Blut vergossen wird, ist ein weiterer Tag zu viel. Wir müssen die Anstrengungen der Arabischen Liga und der Vereinten Nationen unterstützen und auch selbst unseren direkten Beitrag zur Erleichterung der humanitären Lage in Syrien leisten. Österreich wird 250.000 Euro über die Vereinten Nationen für humanitäre Hilfe im Land zur Verfügung stellen“, so der Staatssekretär.
Die im Syrischen Nationalrat (SNC) zusammengeschlossene Opposition wurde in Tunis erstmals als „eine legitime Vertretung des syrischen Volkes“ anerkannt, wenn auch nicht als „einzige legitime Vertretung des syrischen Volkes“. Denn der SNC ist stark zerstritten.
Kofi Annan als Vermittler
Stunden vor Beginn der Konferenz in Tunis überraschte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die internationale Öffentlichkeit und ernannte seinen Vorgänger Kofi Annan zum gemeinsamen Vermittler von Vereinten Nationen und Arabischer Liga in Syrien, ein Schritt, der auch in Moskau begrüßt wurde.
Derweil ging der Beschuss des Stadtteils Baba Amr in Homs auch am Freitag unvermindert weiter, während im ganzen Land nach dem Freitagsgebet wieder Zehntausende gegen das Assad-Regime auf die Straße gingen unter dem Motto „Wir stehen auf für Baba Amr“. Wie Menschenrechtler berichten, sind in dem umkämpften Wohnviertel nach 21 Tagen Offensive rund 20.000 Zivilisten von der Armee umzingelt und werden wahllos mit 240-Millimeter-Mörsergranaten aus russischer Produktion beschossen, die besonders verheerende Schäden anrichten. 70 Prozent der Häuser seien inzwischen unbewohnbar.
465 Menschen haben nach Informationen von Amnesty International seit Beginn der Offensive ihr Leben verloren. In der provisorischen Klinik von Baba Amr arbeite nur noch ein einziger Arzt. In der bisher ruhigen Wirtschaftsmetropole Aleppo skandierten am Freitag die Demonstranten „Wir beugen uns nur vor Allah“, auch in Idlib protestierten wieder Tausende gegen das Regime. In der Nähe von Hama exekutierten Soldaten 18 Dorfbewohner mit Schüssen in den Kopf.
Referendum angesetzt
Ungeachtet der Gewalt hat Assad für Sonntag ein Referendum über eine neue Verfassung angesetzt, die zum ersten Mal in der mehr als 40-jährigen Baath-Herrschaft ein Mehrparteiensystem zulässt und die Präsidentschaft auf zwei siebenjährige Amtsperioden begrenzt. Die amerikanische Regierung bezeichnete das Vorhaben angesichts der Situation im Land als „lachhaft“. Der Syrische Nationalrat (SNC) rief die Bevölkerung zum Boykott auf.
Regimegegner in Damaskus dagegen warben über Facebook, den Urnengang für neue Großkundgebungen zu nutzen. In den letzten acht Tagen war es bereits zweimal im Zentrum der syrischen Hauptstadt zu Protesten gekommen. Auch am Freitag gingen im zentral gelegenen Midan-Viertel wieder Tausende auf die Straße und forderten den Sturz von Präsident Assad.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2012)