Die meisten Austro-Syrer solidarisieren sich – über ethnische Grenzen hinweg – mit den Protesten.
Wien. Wenn die Wellen des syrischen Aufstandes bis nach Wien reichen, und das tun sie zweifellos, dann sind die Folgen bisweilen erstaunlich. Eine kaum gekannte Einigkeit zeichnet derzeit die österreichische bzw. Wiener syrische Gemeinde aus: Mehrere Kurden und Araber, Muslime und Alawiten, Christen und Atheisten haben sich seit Beginn der Aufstände zusammengeschlossen und veranstalten Demonstrationen, um auf die Lage in Syrien aufmerksam zu machen. Erst gestern, Freitag, hat wieder eine Kundgebung vor der syrischen Botschaft stattgefunden.
„Von Demokratie kann überhaupt nicht die Rede sein“, beschreibt Jamal Omari die politische Lage in Syrien unter Präsident Bashar al-Assad und der Baath-Partei. Der syrische Kurde, der die Demonstration mitorganisiert hat, lebt seit zehn Jahren in Wien. Kurden seien in Syrien systematisch unterdrückt worden, sagt Omari. Letztlich sei auch das der Grund gewesen, warum er das Land verlassen habe. Daher habe die kurdisch-syrische Community den Aufstand in der alten Heimat begrüßt, meint der 31-jährige Lokalbetreiber.
Und da diese Haltung für die Mehrheit der Austro-Syrer gelte, könne man eine fast idyllische Einigkeit beobachten – aber nur fast. „Früher war die Situation viel angespannter als heute“, bestätigt der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger. Allerdings würden die Demonstrationen trotzdem „nur von der einen oder anderen Gruppe organisiert“ – Kurden und Moslembrüder sehe man selten gemeinsam auf der Straße. Die ethnischen oder religiösen Konflikte innerhalb der sehr heterogenen syrischen Gemeinde werden mit dem Aufstand also auch nicht aus der Welt geschafft.
Laut Schmidinger gibt es in Österreich drei große Gruppen, die aus Syrien stammen. Viele Moslembrüder, die aus politischen Gründen das Land verlassen haben. Dann die kurdische (muslimische) Gemeinschaft, die in den letzten Jahren stark gewachsen sei – und die Christen. Als eine kleine vierte Gruppe kann Schmidinger Syrer ausmachen, die zum Studium nach Österreich gekommen sind.
Bruderkrieg befürchtet
Gerade bei den Jungen kann indessen der aus Syrien stammende Obmann der Initiative muslimischer Österreicher (IMÖ), Tarafa Baghajati, eine neue Entwicklung beobachten: „Sie haben durch den Aufstand ihre Wurzeln entdeckt.“ Damit einhergehend zeige sich die austro-syrische Gemeinschaft aber auch enttäuscht von Österreich – das Land habe sich nicht „federführend solidarisch“ gezeigt. Überhaupt fehle es hier an einer klar orientierten Nahost-Politik, dabei könne man die nötige Erfahrung durchaus vorweisen.
Was aber allen Syrern in Österreich – laut Statistik Austria besitzen hier rund 1500 Personen den syrischen Pass – gemeinsam ist: Sie betrachten die Ereignisse in ihrer alten Heimat mit Besorgnis. Befürchtet wird ein Bruderkrieg zwischen Alawiten und Muslimen. Besonders die Christen können nicht abschätzen, welche Folgen das für sie haben wird, heißt es aus der syrisch-orthodoxen Kirche in Wien-Floridsdorf.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2012)