SuperMarkt: Thatcher - Revolutionärin im Kostüm

SuperMarkt Thatcher Revolutionaerin Kostuem
SuperMarkt Thatcher Revolutionaerin Kostuem(c) ASSOCIATED PRESS
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Mittlerweile zapfen schon südeuropäische Sozialisten Thatchers Ideenschatz an. Ihr Ziel war nicht nur ein effizienter Staat, sondern auch ein gestutzter.

Die Kolumne "Supermarkt" von Franz Schellhorn erschien am 26. Februar 2012 kurz vor Start des Films "The Iron Lady".

Als die Chemikerin Margaret Hilda Roberts 1950 für das britische Unterhaus kandidierte, konnte niemand ahnen, dass mit diesem Schritt eine sagenhafte Karriere ihren Anfang nahm, die in der Londoner Downing Street Nummer 10 enden sollte. Roberts verlor zwar ihre erste Wahl, öffnete aber gleich zwei Türen zum großen Glück: Ihren konservativen Parteikollegen war sie als hervorragende Kandidatin aufgefallen. Und ein galanter Gesinnungsgenosse, den sie während des Wahlkampfes kennengelernt hatte, chauffierte sie eines Tages zur Arbeit: Dennis Thatcher. Als sie später gefragt wurde, ob die Begegnung Liebe auf den ersten Blick gewesen sei, meinte sie: „Certainly not!“

Und was Mister Thatcher an der jungen Roberts gefiel? „Several things. She has got a good pair of legs.“

Heute ist Dennis tot und Margaret Thatcher ein Pflegefall. Demenz im fortgeschrittenen Stadium. Meist hat sie nicht die leiseste Ahnung, welcher Wochentag gerade ist und schon gar nicht, welche Rolle sie in der Politik spielte. Für Hollywood Anlass genug, die Welt an Margaret Thatcher zu erinnern und deren Lebensweg mit The Iron Lady filmisch nachzuzeichnen. Herausgekommen ist ein netter Beitrag über eine verwirrte alte Dame. Dabei war Thatcher sehr viel mehr als das.

Nicht nur Linke sehen in ihr eine marktradikale Fanatikerin und eiskalte Sozialistenfresserin, die nichts anderes im Sinn hatte als der neoliberalen Profitwirtschaft den Zugang zum großen Geld zu öffnen, den Wohlfahrtsstaat zu zerschlagen und den Gewerkschaften zu zeigen, wer die Chefin im Land ist. Gerade die vollständige Vernichtung der britischen Arbeiterbewegung war es, die ihr viele nicht verzeihen wollen.

Schade eigentlich. Denn genau das war eine ihrer größten Leistungen: Die Befreiung des Königreichs von den Fesseln terrorisierender Gewerkschaften, die drauf und dran waren, das Land ökonomisch zu ruinieren. Sie blockierten jeglichen technologischen Fortschritt (weil sie diesen als schärfsten Feind britischer Arbeitsplätze betrachteten) und überzogen das Land über Jahre hinweg mit Streiks. Bis die Bevölkerung genug davon hatte: Nach zwei gewonnenen Weltkriegen näherte sich die britische Wirtschaftskraft in atemberaubender Geschwindigkeit jener der kommunistischen DDR an. Die keynesianisch dominierte Wirtschaftspolitik mit hohen Staatsausgaben zur Belebung der Konjunktur wollte nicht greifen, statt dessen überschritt die Inflationsrate die 25-Prozent-Marke.

Thatcher verordnete dem Land eine Radikalkur. Um klarzustellen, welche Route eingeschlagen werden sollte, knallte sie ihren Parteikollegen Friedrich August von Hayeks Hauptwerk, „Verfassung der Freiheit“, mit den Worten auf den Tisch: „That is what we believe in!“ In der Praxis folgte sie aber nicht so sehr den „Österreichern“, sondern den Monetaristen: Thatcher ließ die Zinsen erhöhen, um die galoppierende Inflation unter Kontrolle zu bringen. Geldwertstabilität vor Vollbeschäftigung hieß ihr Rezept, deren Anwendung selbst Parteikollegen wegen der vorübergehend steigenden Arbeitslosigkeit für unmoralisch hielten.

Wirtschaftsexperten geißelten Thatchers Politik als asozialen Irrweg, nach zwei Jahren Amtszeit rutschte die Popularität der Premierministerin auf 23 Prozent ab. Ohne den siegreichen Feldzug gegen Argentinien zur Rückeroberung der Falkland-Inseln wäre Thatcher politisch erledigt gewesen. So aber ging sie als Premierministerin in die Geschichte ein, die ihr Land vor dem ökonomischen Untergang rettete.

Thatchers Ziel war nicht nur ein effizienter Staat, sondern auch ein gestutzter. Ein Staat, der den Bürgern diente, statt sie zu bevormunden. Über 600.000 öffentlich Bedienstete verloren ihren Job, kaputte Staatsbetriebe wurden verkauft, Subventionen und Sozialleistungen gekürzt. Allerdings stiegen die staatlichen Sozialausgaben unter Thatcher um 40 Prozent. Nie angerührt hat sie das öffentliche Gesundheitssystem, die staatlichen Ausgaben haben sich in diesem Bereich während ihrer Amtszeit mehr als verdoppelt. Der Spitzensteuersatz wurde von 95 auf 40 Prozent gedrückt, im Gegenzug Verbrauchssteuern erhöht. Der verlotterte Industriepark wich einer modernen Dienstleistungsgesellschaft, gegen Ende der 1980er-Jahre war der Staatshaushalt saniert und die britische Wirtschaftsleistung orientierte sich nicht an jener Ost-, sondern Westdeutschlands.

Wie kaum ein Politiker wusste Margaret Thatcher, dass in ihrem Geschäft Grundsätze zählten. „Das Rückgrat ist bei manchen Politikern unterentwickelt. Vielleicht, weil es so wenig benutzt wird“, wie sie sagte. Sie würde heute jenen, die in der Eurokrise ein Ergebnis liberaler Wirtschaftspolitik erkennen wollen, keinen Zentimeter entgegenkommen. Sondern in aller Entschlossenheit darauf verweisen, dass die europäische Schuldenkrise der politischen Illusion eines Wohlfahrtsstaates zum Nulltarif geschuldet ist. Thatcher wüsste, dass die Rettung für Griechenland nicht in milliardenschweren Finanzhilfen liegen kann. Sondern in einer erhöhten Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft, der Öffnung abgeschotteter Märkte, die das Land seit Jahrzehnten lähmen, und in einer Rücknahme der exorbitanten Gehaltserhöhungen im Staatsdienst.

Sie würde keine Zweifel daran lassen, dass Subventionen nicht die Lösung des Problems, sondern dessen Ursache sind. „Alles (Geld aus Brüssel, Anm.)ging in den Konsum. Das Ergebnis war, dass jene, die etwas produzierten, ihre Betriebe schlossen und Importfirmen gründeten, weil sich damit mehr verdienen ließ. Das ist das eigentliche Desaster dieses Landes.“ Eine Analyse, die von Thatcher sein könnte, aber vom griechischen Wirtschaftsminister Michael Chrysochoidis ist (einem Interview mit der „FAZ“ entnommen).

Schade, dass Margaret Thatcher davon nichts mehr mitbekommt. Sie würde mit Entzücken feststellen, wie weit sich ihre politischen Botschaften verbreitet haben. Geografisch wie ideologisch: Herr Chrysochoidis ist überzeugter Sozialist.

franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2012)

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