USA: Ein Übungsflugzeugträger gegen Technik-Unlust

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uebungsflugzeugtraeger gegen TechnikUnlust(c) EPA (Greg Messier)
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Flut an Geisteswissenschaftlern, Ebbe bei Ingenieuren: In Florida sollen simulierte Rettungseinsätze vom virtuellen Flugzeugträger USS "Ambition" bei Jugendlichen Interesse an Technik und Naturwissenschaft fördern.

Nicht nur in Österreich, auch in den USA klagen Wirtschaft und Militär über ein Phänomen: Den gegenüber Geisteswissenschaften, BWL und Juristerei ständig sinkenden Anteil an Studenten und Absolventen technischer und naturwissenschaftlicher Studien. Seit etwa 1985 hält dieser Trend an, auch in Deutschland oder der alten Feinmechanikerschmiede Tschechien.

Laut Studien fehlen Österreichs Wirtschaft pro Jahr etwa 1000 TU-Absolventen, auch aus den HTL und Fachhochschulen kommen zu wenige Leute. Firmen müssen Projekte absagen oder fremde Fachkräfte anheuern. Die Ebbe bei Chemikern, Ingenieuren oder Mechanikfacharbeitern bremst die Wirtschaft, dafür gibt es eine Flut an Juristen, Publizisten oder Politikwissenschaftlern.

Auch in den USA hat sich die Tendenz in den vergangenen zehn Jahren verstärkt. Im globalen Vergleich liegt die US-Absolventenzahl in technisch-wissenschaftlichen Feldern in der unteren Hälfte der Industrieländer. Insider nennen die Lage „even worse“; sicher als zu schlecht, um auf Dauer gegen Staaten wie China und Indien technologisch zu bestehen.

USA im Hintertreffen

Ein Gegenmittel soll die „National Flight Academy“ (NFA) in Florida werden, die beim Nationalen Marine-Luftfahrtmuseum der Marineflieger-Akademie auf der „Naval Air Station“ (NAS) in Pensacola angesiedelt ist: Rund 41Millionen Dollar (30,5Millionen Euro) hat die Naval Aviation Museum Foundation von Ex-Vizeadmiral Gerald Hoewing gesammelt und dort ein vierstöckiges Gebäude errichtet. Es beherbergt einen „virtuellen Flugzeugträger“: die USS „Ambition“ (Ehrgeiz, Streben), im Marinekürzel „CVT-11“. Sie soll die Jugendlichen für Technik und Naturwissenschaft begeistern.

Schon beim Eintreten hat man das Gefühl, festen Boden zu verlassen. Ein Streifen Wasser, eine Gangway, eine akustische Kulisse aus Hafengeräuschen tragen dazu bei. Raum für Raum wird die Illusion aufrechterhalten: Hangardeck, Briefing- und Kommandoräume, Rotlicht, Pilotenquartiere mit Funkgebrabbel, Waschräume – wie auf echten Trägern. Allerdings sind die Räumlichkeiten behindertengerecht und geräumiger.

Dem „Schiff“ samt seiner „Combat Strike Group 11“ sollen ab Mai pro Woche 240 Jugendliche im Highschool-Alter (Schulstufen sieben bis zwölf) angehören, um in Drei- oder Fünftageskursen samt Nächtigung in typischen Doppelstockbett-Quartieren simulierte Einsätze zu lösen. Dazu ist das Hangardeck voller Flugsimulatoren, in den Kommandoräumen sind Touchscreens, auf denen bewegliche Landkarten eine Lageübersicht bieten. Navy-Fachkräfte vermitteln den „rookies“ Expertise. Die Szenarien haben indes nichts mit Krieg zu tun: Sie lehnen sich an Hilfsaktionen nach Naturkatastrophen an. Zuerst steht die Entscheidung an, wie viele Einsatzkräfte abgestellt werden, es folgen Überlegungen zu Details der Planung, etwa, wie die Nutzlastkapazität der Helikopter zwischen Treibstoff und Hilfsgütern aufgeteilt wird, oder auch zu Notfällen, die Änderungen der Einsätze erfordern.

Beben in Haiti als Krisenszenario

Echtes Teamwork ist nötig. Sind die Berechnungen durch „mission orders“ in die Tat umgesetzt, liefern simulierte Kommunikationsmittel und Instrumente (etwa elektrooptische- und Infrarot-Bildübertragung aus Sensoren der virtuell entsandten Flieger oder Helikopter) Bilder über die Lage.

Ein Szenario lehnt sich an die Bebenkatastrophe in Haiti von 2010 an. Die „Ambition“ soll isolierte Bebenopfer versorgen. Mehrere Versorgungspunkte mit verschiedener Dringlichkeit und verschiedenen Größen betreffend Güterbedarf und Verletztenzahl müssen abgedeckt werden. Fragen tauchen auf wie: Wie weit ist das? Wie viel Treibstoff ist nötig? Wie sind die Windverhältnisse? Wie viel Wasser kann man laden? Wie viele Hubschrauber können in welchem Zeitraum an Deck landen und starten? Wie ist das Wetter? Welche Unwägbarkeiten drohen? Einem anderen Szenario liegt ein aufziehender Tsunami zugrunde. Die Crew hat gut zwei Stunden Zeit, um Zivilisten aus Gefahrenzonen und Techniker aus einem AKW zu retten. Dazu kommen unerwartete Ereignisse, etwa Seenotrufe oder Defekte. Dann ändern sich Prioritäten – oder doch nicht? Wen zuerst retten? Fehler in der Befehlskette sind eingeplant.

Hier gibt es keinen Reset-Knopf

Auch für die Betreiber der „Ambition“ wird es eine neue Erfahrung, wie Schüler auf Stress und Verantwortung reagieren. Es passiert der Gamer- und Smartphone-Generation ja selten, dass man die Hände auf Millionen Dollar teures Equipment legt und es auf die eigenen Kalkulationen ankommt, ob Missionen Erfolg haben oder Menschen sterben. Diese Konsequenz steht klar im Raum: Da ist kein Reset-Button wie bei der „Xbox“.

Unterstützt wurde das Projekt, es geht ja um künftiges Humanpotenzial, durch Luftfahrtkonzerne, aber auch durch Unis und Schulen, die Wege suchen, Eltern zu überzeugen, ihre Kinder dahin zu schicken. Auch um selbst eine drohende Schließung abzuwenden.

Die Nasa schuf im Jahr 1982 mit dem „Space Camp“ Ähnliches: Hier gibt es Astronauten-Lehrgänge für ganze Familien. Bei den bisher gut 500.000Absolventen des Programms zeigten sich klar messbare Neuorientierungen Richtung Naturwissenschaft und Technik.

Die Kosten für einen Kurs auf der USS „Ambition“ werden pro Teilnehmer derzeit übrigens mit zirka 1250Dollar (rund 930Euro) für eine Woche veranschlagt, Tendenz sinkend. Zudem will man Sponsoren finden. Langfristig ist auch eine Teilnahme europäischer Klassen denkbar. Vielleicht gibt es dann auch hierzulande bald mehr Techniker als Soziologen.

Der Autor ist Korrespondent des Militärfachblatts „IHS Jane's Defence“ und schreibt u.a. bei „Airpower.at“, „Europäische Sicherheit“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2012)

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