Am Wochenende spalteten sich mehrere Mitglieder des Syrischen Nationalrates auf - und der Westen denkt nicht daran, die untereinander zerstrittenen Gegner von Staatschef Bashir al-Assad zu bewaffnen.
Kairo. Während das Regime in Damaskus seine Bürger weiter mit schwerer Artillerie unter Feuer nimmt und sich gleichzeitig mit seinem Verfassungsreferendum brüstet, bietet die syrische Opposition zunehmend ein Bild von Zerrissenheit und Zerfall. Am Wochenende spalteten sich mehrere Mitglieder des Syrischen Nationalrates (SNC) ab und verkündeten die Gründung einer „Syrisch-Patriotischen Gruppe“. Dem SNC sei es nicht gelungen, den Rebellen in Syrien zum Erfolg zu verhelfen, hieß es zur Begründung. „Für uns ist das Wichtigste, dass wir endlich aus der Lähmung herausfinden.“
Kein Plan für den Neuanfang
Zusammengewürfelt aus Exilanten und Aktivisten vor Ort, aus Nationalisten und Marxisten, Religiösen und Säkularen sowie Befürwortern und Gegnern einer Bewaffnung fehlt der Opposition ein Plan für den Neuanfang. Und so wachsen auch im Ausland Skepsis und Sorgen. Die Konferenz der „Freunde Syriens“ in Tunis erkannte den SNC zwar als „eine legitime Vertretung der Syrer, die demokratischen Wandel anstreben“, an, nicht jedoch als „einzige legitime Vertretung des syrischen Volkes“. Auch dem Vorschlag Saudiarabiens, die syrische Opposition zu bewaffnen, wollten die westlichen Staaten nicht folgen. „Wir haben doch keine Ahnung, wen wir da eigentlich bewaffnen”, erklärte US-Außenministerin Hillary Clinton.
Anders als in Syrien galt seinerzeit der Nationale Übergangsrat in Libyen von Anfang an als die unbestrittene Vertretung der Aufständischen. Die syrische Opposition dagegen kann immer noch kein allseits respektiertes Gesicht an ihrer Spitze vorweisen. Burhan Ghalioun, der Vorsitzende des Exekutivkomitees des Syrischen Nationalrates, vermag diese Rolle nicht zu bekleiden. Der 67-Jährige ist Professor für Soziologie an der Sorbonne in Paris. Die 270 Mitglieder seines in Istanbul sitzenden SNC repräsentieren säkulare, nationalistische und islamistische Gruppen, Exil-Syrer genauso wie kommunale Komitees in Syrien oder Bewaffnete, die bei der „Freien Syrischen Armee“ kämpfen.
Dagegen gehören dem zweiten Oppositionsverband, dem in Syrien ansässigen Nationalen Syrischen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel (NCCDC), vor allem national gesinnte Oppositionelle an, aber auch Unabhängige und prominente Dissidenten. Anders als der Syrische Nationalrat lehnt der NCCDC eine militärische Intervention von außen ab und ist zu Verhandlungen mit Präsident Assad über einen Machttransfer bereit. Ihre Mitglieder werfen dem SNC vor, die Lage im Land und die Gefahren einer Bewaffnung falsch zu bewerten. Dem jüngsten Treffen der Syrien-Kontaktgruppe in Tunis blieben sie demonstrativ fern.
Staatschef Bashir al-Assad lässt indes sein Verfassungsreferendum als Ausweg aus der Sackgasse feiern. Wie das Staatsfernsehen gestern berichtete, soll das Referendum am Sonntag mit knapp 90 Prozent der Stimmen angenommen worden sein. Die Verfassungsreform, die bereits von Russland gelobt wurde, sieht erstmals die Gründung von Parteien vor. Die Opposition hat das Referendum angesichts der anhaltenden Gewalt boykottiert.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2012)