Web-Serien: Netzgeschichten

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Web-Serien bieten Filmemachern künstlerische Freiheit und PR, aber kein Geld. Nach "Fauner Consulting" startet mit "Mitesser" die nächste Serie im Netz. Die Literatur nutzt den Gratis-Aspekt des Internets schon länger.

Sie schwören, nichts voneinander gewusst zu haben. Es dürfte also wirklich reiner Zufall sein, dass nach der ersten heimischen Web-Serie „Fauner Consulting“ bald die nächste Internet-only-Serie aus Österreich startet. Der Regisseur und Musiker Jimmy Brainless, der Zivildiener Marvin Farag und die Modestudentin Dana Kindl sind in der Endproduktion ihrer Miniserie „Die Mitesser“, die sie ab 1.April via YouTube zeigen und mit der sie ganz unbescheiden gleich ein neues Genre begründen wollen: Die Sickcom, die etwas verrücktere Variante der klassischen Sitcom.

Im Mittelpunkt der Serie, von der bis jetzt sechs Folgen zu je 20 Minuten abgedreht sind und insgesamt drei Staffeln entstehen sollen, stehen fünf Freunde und ein Würstelstand in Wien. Der Trailer auf YouTube verrät noch nichts über den Plot, lässt die „kranken“ Züge der Serie aber erahnen. Das Trio dahinter, das seit 2010 am Serienkonzept feilt, kommt nicht aus der Filmbranche, würde dort aber gerne Fuß fassen. Mit der Sickcom wollen die Mittzwanziger zeigen, dass man auch ohne einschlägige Ausbildung etwas schaffen kann.

Das ist vielleicht der größte Unterschied zu den Vorreitern Manuel Rubey und Georg Weissgram. Die beiden sind sehr wohl vom Fach, Rubey ist erfolgreicher Schauspieler, Weissgram als Musikvideoproduzent bekannt. Mit „Fauner“, der Geschichte des geheimnisvollen und mittellosen Lebensberaters François Fauner, haben sie auf hohem Niveau und ohne Geld eine qualitätsvolle Serie produziert, die mit „echten“ TV-Produktionen spielend mithalten kann. Die zehn Teile wollten im Internet bis zu 13.500 Menschen sehen. Den größten und eigentlich einzigen Vorteil dieses unabhängigen Filmemachens nennen Rubey und Weissgram „die künstlerische Freiheit“. Dafür leide „die Professionalität“, so Weissgram, wenn man ohne Budget und unter Zeitdruck dreht (zehn Drehtage, zehn Folgen) und auf den Goodwill aller Beteiligten zählen muss. „Wir wollen nicht erzählen, dass Fernsehen ohne Geld funktioniert“, sagt Rubey. „Denn das funktioniert nur mit Ausbeutung“. Weissgrams Intention für „Fauner“ war auch eine pragmatische: Er träumt davon, Spielfilme zu machen. Mit der Web-Serie hat er nun eine Visitenkarte im Netz, die bereits einen spürbaren Effekt hat: Seine Drehbücher werden nun gelesen. Rubey und er sind jedenfalls keine Internetromantiker: Die nächste Serie wollen sie lieber für das Fernsehen machen. Es gibt zudem die Idee, eine "Fauner"-DVD zu produzieren und ganz vage Gespräche, die Serie eines Tages im Fernsehen auszustrahlen. Der Internet-Auftritt wäre somit eine Art Testlauf für das Fernsehen.

Vorreiterin Jelinek in der Literatur. Während sich die Serie also erst langsam im Gratis-Netz etabliert, ist die Literatur schon längst da. Es gibt nicht wenige Autoren, die ihre Werke online ganz oder teilweise gratis zur Verfügung stellen. Als Wegbereiterin für den deutschsprachigen Raum gilt Elfriede Jelinek. Seit den späten 1990er-Jahren veröffentlicht sie ihre Texte auf ihrer Homepage www.elfriedejelinek.com, heute kann man ihre Werke wie den Roman „Neid“ oder alltagskritische Betrachtungen wie die ORF-SPÖ-Polemik „Der kleine Niko“ nur mehr im Netz lesen. Der kanadische Science-Fiction-Autor Cory Doctorow wiederum tritt für eine Liberalisierung des Urheberrechts ein und stellt daher alle seine Werke frei zur Verfügung. Und US-Krimiautor Stephen King hat schon vor zwölf Jahren die Kurzgeschichte „Riding the Bullet“ nur online publiziert – sie wurde 700.000-mal heruntergeladen.

Von Zugriffszahlen dieser Höhe kann Fritz Lehner nur träumen. Der österreichische Filmemacher („Jedermanns Fest“) stellt jeden Donnerstag ein neues Kapitel seines Multimedia-Romans „Margolin“ auf die Homepage des kleinen Wiener Seifert-Verlags. Ergänzt wird der Text, in der eine Pistole der Type „Margolin“ eine Rolle spielt, durch kunstvolle Videos, die die Stimmung des Helden transportieren. Kapitel eins wurde bisher zwar erst 560-mal angeklickt, für Verlagschefin Maria Seifert ist diese Art der Veröffentlichung dennoch „eine PR-Aktion" und "ein Weg, wie neue Medien das Buch stützen können“. Anders als bei Jelinek und King soll der Roman am Ende, also im Herbst, gedruckt erscheinen, die Videos werden einer Begleit-DVD beigelegt. Der Roman und die Videos entstehen aber in einem "Work in Progress", anders als bei Autoren wie Stephen King, die ihre Texte komplett fertig ins Netz stellen, lotet Lehner die Grenzen und Möglichkeiten des Internets aus. Seine Texte und Videos sollen letztlich Teaser, Appetitanreger für das im Herbst erhältliche Buch sein.

Die klassische Romanform komplett verlassen hat indes der Autor des ersten Facebook-Romans „Zwirbler“. Seit Sommer 2010 verknüpft der Texter „TG“, hauptberuflich Lektor an der Uni Wien, Statusmeldungen zu einer Geschichte, die derzeit 8000 Facebook-Freunde verfolgen und mit ihren Kommentaren beeinflussen können. Ein Experiment mit offenem Ausgang, das derzeit nur „immateriellen Profit“ bringt, so TG. Den Roman eines Tages zu drucken ist nicht sein primäres Ziel, er wisse ja noch nicht einmal, wie sich die Geschichte weiterentwickelt oder was er morgen oder übermorgen schreibt.

Info

Die Sickcom „Mitesser“ ist ab 1. April via YouTube zu sehen, jeden Sonntag wird eine neue Folge ins Netz gestellt. Infos zur Serie gibt es unter http://www.thebrainlesscompany.com/diemitesser/, auf YouTube ist bisher nur der Trailer zur Serie zu sehen.

Noch immer ansehen kann man die Webserie „Fauner Consulting“ mit Manuel Rubey, Matthias Franz Stein u. a. unter www.fauner-consulting.at.

Jeden Donnerstag geht ein neues Kapitel und Video des Multimedia-Romans „Margolin“ von Fritz Lehner online: www.seifertverlag.at/margolin


Die Statusmeldungen von „Zwirbler“ ergeben den ersten Facebook-Roman:

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2012)

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