Passage: Geschützt und doch öffentlich

Passage Geschuetzt doch oeffentlich
Passage Geschuetzt doch oeffentlich(c) Clemens Fabry
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Sie ist die Keimzelle der Stadt der Moderne und wird gerade als Shopping-, Entertainment- und Kulturraum wiederentdeckt: Die Passage ist ein spannender Ort.

Sie sind Teil der Stadtkultur und damit auch eines vielgestaltigen und verzweigten Geflechts an öffentlichem Raum – die Passagen. Ihre Erscheinungsformen sind vielfältig, schließlich liegt die Entstehung mehr als zwei Jahrhunderte zurück. Dass sich die Passage als europäischer Bautypus der Stadt am Ende des 18. Jahrhunderts herausbildete, ist sowohl auf die damalige Hochkonjunktur des Textilhandels als auch auf die Anfänge des Eisenbaus zurückzuführen. „Die Stadt verdichtete sich, und es gab eine Nachfrage nach Handelseinrichtungen“, erklärt Rudolf Scheuvens, Urbanist an der TU Wien.

Die Stadt der Moderne. Die Handelsfunktion wurde mit der Zeit um gastronomische und kulturelle Einrichtungen erweitert. Damit wurden die Passagen zu gesellschaftlichen Treffpunkten, in denen man aufgrund der Überdachung unabhängig vom Wetter oder der Tageszeit flanieren oder verweilen konnte. Charakteristisch für den Typus der Passage war jedenfalls ihre Funktion als Bindeglied, das in den dicht bebauten Innenstädten das Netz an Straßen und Plätzen verknüpfte und auf privatem Grund, im Innenbereich der städtischen Blockbebauung, neuen öffentlichen Raum schaffte. „Im Neapel des 19. Jahrhunderts wohnte man auch in den Passagen, und aus dieser frühen Phase heraus wurden sie Bestandteil des öffentlichen Raums einer Stadt und später immer mehr zu isolierten und autistischen Orten“, so Scheuvens.

Wie sich die Passage auch heute zeitgemäß in das Stadtbild einfügen kann, demonstriert der Entwurf der Wiener Silberpfeil-Architekten für die Passage Wollzeile, deren Fertigstellung im Herbst 2012 geplant ist. Gelegen in der Wiener Innenstadt, als Verbindungtrakt zum Lugeck, wird die Passage in einem historischen Gebäudekomplex errichtet. Den Planern ging es darum, einen zusätzlichen öffentlichen Raum anzubieten, der das bestehende Netzwerk an Passagen ergänzt. Für den Entwurf haben sie sich hauptsächlich atmosphärische Gedanken gemacht: Dazu wurde eine Infrastruktur entwickelt, die sich variabel an die Flächenaufteilung anpasst. Als Mittel sind vertikale Gärten und eine Begrünung geplant, die den hohen engen Durchgangsraum strukturieren. Verspiegelte Fensterläden sollen das Licht in der unteren Zone reflektieren, und die Fassadengestaltung mit Auslageflächen in der Sockelzone sorgt für Blickbeziehungen in die angrenzenden Lokale.

„Es ist mit Sicherheit ein eher verstecktes Juwel als eine ganz offene Situation“, ist sich Architekt Peter Rogl bewusst, „aber mit der Öffnung einer jetzigen innerstädtischen Brache schaffen wir ein zusätzliches Angebot – speziell dann, wenn es eine adäquate Antwort auf die Gegend ist.“

Die Passage als Tanzraum. Zwei Umnutzungskonzepte von desolaten Fußgängerpassagen demonstrieren indessen, dass sich die Wandlungsprozesse der Städte auch auf diese Domäne auswirken. Im Zuge der Modernisierung des Bahnhofs Praterstern musste das Szenelokal Fluc im Jahr 2005 aus der ehemaligen Location im Bahnhofsgebäude weichen. „Die Idee, die Unterführung zwischen Bahnhof und Gabor-Steiner-Weg in Betracht zu ziehen, entstand gemeinsam mit den Betreibern bei einer Begehung des Praterumfeldes“, erinnert sich Architekt Klaus Stattmann. „Uns war bekannt, dass die Stadt Wien die Schließung sämtlicher Fußgängerunterführungen am Praterstern vorgesehen hatte.“ So plante man ebenerdig eine neue Bar im Containerensemble und einen Konzertsaal in der Unterführung. Die Umgestaltung mit geringem finanziellen Aufwand stellte das Team vor die unterschiedlichsten Herausforderungen; der größte Eingriff in die vorhandene Bausubstanz war das Abtragen eines Teils der Deckenkonstruktion des Fußgängertunnels mit einem Volumen von über 50 Tonnen Beton. An das „punktgenaue Hinaushieven der Schnittteile auf die Schwerlasttransporter“, erinnert sich Stattmann noch genau.

Was sich mittlerweile als Standort bewährt hat, war damals spektakulär: „Wirkliche Vorbilder gab es nicht, uns waren temporäre Nutzungen für Berliner Projekte bekannt, aber auch die Babenberger Passage schauten wir uns an“, so Stattmann.

Die Fußgängerunterführung Babenberger Passage im ersten Wiener Gemeindebezirk wurde im Jahr 1961 unter Bürgermeister Franz Jonas gebaut. „Es war in den 1960er-Jahren sehr en vogue, unter den Hauptverkehrsstraßen Fußgängerunterführungen zu bauen, zu denen Rolltreppen hinunterführten“, erzählt Betreiber Matthias Kamp. Dies sei aber mit der Zeit ein Anachronismus geworden – die Unterführungen wurden durch ebenerdige Ampeln und Zebrastreifen ersetzt. „Damals beschäftigte die Gemeinde auch einen Rolltreppenwärter, der rund um die Uhr nichts anderes zu tun hatte, als darauf zu warten, dass eine Rolltreppe ausfällt,“ schmunzelt Kamp, der sich über den Erfolg der Umnutzung zum Club Passage freut.

Öffentlich oder nicht? Als weiterer Andockpunkt für Nachtschwärmer eröffnete Ende 2011 die Albertina Passage in unmittelbarer Nähe zur Staatsoper. In der Fußgängerunterführung realisierten die Architekten Söhne und Partner das Konzept aus Restaurant, American-Bar und Livemusik. Die Innenausstattung zitiert die Ballroom-Optik früherer amerikanischer Tanzklubs, und auch die Albertina Passage ist auf dem besten Weg, sich zu einem Publikumsmagneten zu entwickeln.

„Die Passagen erleben eine Renaissance“, beobachtet der Stadtplaner Scheuvens eine Entwicklung, die vorwiegend aus dem Handel entstehe. In Innsbruck etwa errichtete man eine Passage, in der sich zwei wesentliche Funktionen der Stadt überlagern: das Rathaus, einer der wichtigsten öffentlichen Räume der Stadt, und der Handel. „Ob das jemals ein öffentlicher Raum sein wird, wage ich, infrage zu stellen, denn je mehr eine Passage zur Handelspassage wird, desto stärker sind auch die Kontrollsysteme, die zwar handelsorientiert, aber nicht auf den öffentlichen Raum bezogen sind“, so Scheuvens. So bleibt es Verhandlungssache, inwieweit Aufwertungs- oder Umnutzungsprozesse der städtischen Passagen neue urbane Qualitäten generieren können und an welcher Nutzergruppe sich die baulichen Maßnahmen orientieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2012)

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