Vize-Minister: „Verlasst das sinkenden Schiff“

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Erstmals hat ein Kabinettsmitglied dem syrischen Regime den Rücken gekehrt und ist zu den Aufständischen übergelaufen. Er wolle nicht sein Leben beenden „als Diener eines kriminellen Regimes“.

Kairo/Damaskus. Der 58-Jährige wirkt ruhig und überlegt, er trägt Krawatte und Anzug. Vier Minuten dauert die Abrechnung von Syriens Vize-Ölminister Abdo Hussameddin mit dem Assad-Clan, die er von einem dunklen Sofa aus in die Kamera der Aufständischen spricht: Er wolle nicht sein Leben beenden „als Diener eines kriminellen Regimes“ und trete der Revolution bei, erklärte der gelernte Ingenieur. „Ich sage diesem Regime: Ein ganzes Jahr habt ihr Verzweiflung und Trauer über die gebracht, von denen ihr behauptet, sie seien euer Volk.“ Syrien werde an den Rand des Abgrunds getrieben, die Wirtschaft stehe vor dem Kollaps, fügt er hinzu und rief seine bisherigen Kollegen auf, „das sinkende Schiff zu verlassen“. Scharfe Kritik übte er auch an Russland und China: Diese seien „keine Freunde des syrischen Volkes, sondern Komplizen beim Töten des syrischen Volkes“.

Nach der Fahnenflucht zweier Generäle und zahlreicher Offiziere ist Abdo Hussameddin nun der erste hochrangige zivile Repräsentant, der öffentlich mit dem Machtapparat von Präsident Bashar al-Assad bricht. Im August 2009 wurde er per Dekret zu einem der beiden Vize-Minister für Öl und mineralische Bodenschätze ernannt. Zuvor hatte er nach eigenen Angaben 33 Jahre lang in verschiedenen Regierungsämtern gearbeitet.

„Sie werden meine Familie verfolgen“

Über die Folgen seines Schrittes macht sich der verheiratete Vater von vier Kindern keine Illusionen. Er ziehe es vor, das Richtige zu tun, „obwohl ich weiß, dass sie mein Haus niederbrennen, meine Familie verfolgen und Lügen über mich verbreiten werden“. Der Vorsitzende des Syrischen Nationalrates (SNC), Burhan Ghalioun, feierte den Mut von Abdo Hussameddin und erklärte, er erwarte, dass nun auch andere Regierungsmitglieder und Politiker die Seiten wechseln.

Eine Woche vor dem ersten Jahrestag des Beginns der Volksproteste in Syrien am 15. März fällt dieser spektakuläre Videoauftritt zusammen mit dem Beginn der Syrien-Mission von Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan, der am Samstag von Kairo aus nach Damaskus fliegen will. Mit eindringlichen Worten warnte er nach einem Gespräch mit Nabil al-Arabi, dem Generalsekretär der Arabischen Liga, vor einer weiteren Militarisierung des Konflikts. Die Opposition rief er auf, sich zu einigen und bei einer Lösung mitzuhelfen, „die die Sehnsüchte des syrischen Volkes respektiert“. Ein Ende des Konflikts lasse sich nur durch eine politische Vereinbarung erreichen. Der in Istanbul ansässige SNC dagegen weigert sich seit Monaten, unter internationaler Vermittlung Gespräche mit dem Regime in Damaskus aufzunehmen und verlangt stattdessen Waffenlieferungen an die „Freie Syrische Armee“.

Für Verhandlungen

Doch die Opposition ist gespalten: Das Nationale Syrische Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel, das innerhalb des Landes operiert, ist strikt gegen eine weitere militärische Eskalation und befürwortet Verhandlungen.

Derweil wächst der internationale Druck auf Russland, seine Blockade-Haltung im Syrien-Konflikt zu lockern. Chinas Gesandter Li Huaxin forderte beim Besuch in Damaskus die Machthaber auf, die Gewalt gegen ihre eigene Bevölkerung zu stoppen und dem Roten Kreuz humanitäre Hilfstransporte zu erlauben. Gleichzeitig wies Peking alle seine Staatsangehörigen an, Syrien zu verlassen. Moskaus Außenminister Sergej Lawrow reist am Samstag zu Gesprächen mit seinen Amtskollegen von der Arabischen Liga nach Kairo, die die starre Position Russlands immer erbitterter kritisieren. Russlands neu gewählter Präsident Wladimir Putin allerdings ließ keinerlei Nachgeben erkennen. Kategorisch stritt er ab, Moskau erwäge, Syriens Staatschef Assad und seiner Familie Asyl zu gewähren. „Wir diskutieren dieses Thema nicht einmal“, erklärte er im Kreml.

Zur Person

Abdo Hussameddin, bisher Vize-Ölminister im Regime von Bashar al-Assad, ist zu den Aufständischen übergelaufen. In einer Videobotschaft sagte er, er könne die Verbrechen des Regimes nicht billigen. [AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2012)

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