Tel Aviv: Aus dem Nachtleben auf den Strand

(c) AP (Oded Balilty)
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Couchsurfing, Schlafen bei Privatpersonen, ist – zumindest für Menschenfreunde – eine Alternative zu Hotels. Selbstversuch in einer Stadt, die die Leichtigkeit des Seins übt.

Tel aviv. 20 Grad und Sonnenschein auf dem Flughafen Ben Gurion, Freitagnachmittag, der nahende Sabbat ist bereits spürbar. Da die Züge ihren Betrieb eingestellt haben, bleibt nur das Taxi. Das Ziel: eine Couch im Zentrum Tel Avivs. Die Mission: Couchsurfing.

Osnat Guetta, die Besitzerin der Schlafstatt, ist Mitglied einer weltweiten Online-Community, die Schlafplätze für Reisende zur Verfügung stellt und im Gegenzug dafür andere Kulturen und Sprachen kennenlernen möchte. Wer Menschen aus anderen Ländern einfach nur treffen, aber nicht beherbergen möchte, kann auch das tun: Es wird einfach im Profil angegeben. Tel Aviv ist wie geschaffen für diese Erfahrung: In der zweitgrößten Stadt Israels lassen sich die meisten Einwanderer nieder, die Bewohner sind bekannt für ihre Gastfreundschaft und Aufgeschlossenheit gegenüber Fremden. Jeder spricht Englisch und benützt diese Sprache mit einer lässigen Selbstverständlichkeit.

Aus dem Besuch im Kaffeehaus mit der Gastgeberin wird dann auch gleich eine größere Runde: Jeder kennt hier jeden, und die, die niemanden kennen, gesellen sich einfach dazu. Gäste aus dem Ausland werden ganz selbstverständlich in die Unterhaltung einbezogen – in einer Mischung aus Hebräisch und Englisch. Es ist Samstagvormittag, Sabbat, alle haben Zeit und erfreuen sich im Gastgarten an den wärmenden Strahlen der Sonne.

Auf kleine harte Bälle dreschen

Die Strandpromenade ist der größte Stolz der Tel Aviver: Im Sommer trifft sich hier die halbe Stadt, aber auch jetzt, im Winter, herrscht angeregte Stimmung. Eine Gruppe von Hobbytänzern hat sich versammelt, um zu griechischer Musik die Beine zu schwingen. Überall dreschen junge und alte Israelis mit Holzschlägern auf kleine, harte Bälle – Matkot heißt der Lieblingssport der Tel Aviver. Als Strandflanierer ist man ständig damit beschäftigt, den fliegenden Bällen auszuweichen. Endlos lange zieht sich der Strand dahin, bis nach Jaffa, der arabischen Stadt, die direkt an Tel Aviv grenzt.

Die erste Nacht auf der Couch ist unruhig, doch der morgendliche Blick aus dem Fenster entschädigt: Häuser im Bauhaus-Stil liegen in strahlendem Sonnenschein, die Palme gegenüber leuchtet sattgrün. Mehr als 4000 Gebäude im Bauhaus-Stil errichteten die Schüler von Walter Gropius und Le Corbusier in wenigen Jahrzehnten in Tel Aviv, jüdische Architekten, die vor dem Naziregime aus Deutschland geflohen waren, 2003 wurde die „Weiße Stadt“ Weltkulturerbe. Auf einem City Bike geht es quer durch die Stadt zum Shuk HaCarmel Market, Tel Avivs bekanntestem und größten Markt. Hier findet der Käufer alles, was sein Herz begehrt, von Kleidung über Gewürze bis zu Humus, Israels Nationalspeise. Am Abend wird die Couch von Freunden der Gastgeberin belagert, da heißt es warten, bis Nachtruhe einkehrt. Oder, besser, das legendäre Nachtleben von Tel Aviv auskosten.

Ein israelisches Sprichwort sagt: „In Haifa wird gearbeitet, in Jerusalem gebetet, in Tel Aviv gefeiert.“ Und tatsächlich, die Nacht wird regelmäßig zum Tag – Tischreservierungen in Restaurants für drei Uhr nachts sind keine Seltenheit. Rund um die Uhr herrscht demonstrative Leichtigkeit in der Stadt. Der Nahostkonflikt wird gern verdrängt – nicht umsonst heißt die Stadt „The Bubble“, die Blase, weil ihre Einwohner sich vom Rest des Landes und seinen Problemen abgrenzen.

Heute gilt Tel Aviv als sicher, und wären da nicht die Sicherheitskontrollen in den Foyers großer Kaufhäuser und Restaurants, vergäße man leicht, dass sich Israel in einem Konflikt befindet. „Natürlich ist uns bewusst, was in Israel passiert. Aber wir denken nicht dauernd darüber nach“, sagt Osnat Guetta, die Couchbesitzerin.

Auch Sandra Schweiger, eine Oberösterreicherin, die in Tel Aviv lebt, sieht das Thema Nahostkonflikt mit einer gewissen Lockerheit: „Nach allem, was die Menschen in der Vergangenheit durchgemacht haben, kann man niemandem verübeln, einfach nur sein Leben leben zu wollen.“ Und zum Thema Sicherheit: „Ich lebe jetzt seit über einem Jahr hier und habe nichts Negatives erlebt. Die Presse berichtet ja leider nur über Bomben und Terror.“ Ein größeres Anliegen der Bewohner sei die soziale Sicherheit: „Hier merke ich erst, wie gut es uns Österreichern geht.“ Wenn es um soziale Gerechtigkeit geht, ist es auch in Tel Aviv vorbei mit der Leichtigkeit. Hunderttausende gingen letzten Sommer auf die Straße, um ihre Regierung daran zu erinnern, dass es neben dem ständigen Konflikt mit den Palästinensern noch andere dringliche Themen gibt.

Auch der letzte Morgen beginnt mit strahlendem Sonnenschein. Die Bettwäsche wird wieder verstaut und die Couch tut, als wäre nichts gewesen. Auf dem Bahnhof dann die Erkenntnis: kein Zug zum Flughafen. Auf Nachfrage heißt es, nein, nicht der Sabbat, der Zug sei ausgefallen, es gäbe keine weiteren Informationen. Also wieder ein Taxi.

Couch ohne Potatoes

Anreise: Wien–Tel Aviv–Wien mit El Al ab 290 Euro. www.elal.co.il

Auskünfte: Staatliches Israelisches Verkehrsbüro Israel, Friedrichstr. 95

10117 Berlin, +49/30/203 99 70 www.goisrael.de
www.inisrael.com/tour/telaviv/index

Website von Tel Aviv: www.tel-aviv.gov.il

Couchsurfing: www.couchsurfing.org

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2012)

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