Die Berichterstattung wurde von Angst- und Panikmache dominiert, Twitter verstärkte die Hysterie.
Banana Yoshimoto war eine der Ersten, die Worte über die Katastrophe in ihrer Heimat fand. Am 18. März 2011, nur eine Woche nach der Atomkatastrophe, druckte der „Spiegel“ einen Text der bekannten Autorin. „Wir haben so viele erschütternde Bilder vom Tsunami im Fernsehen gesehen, dass ernsthafte Auswirkungen auf die Gemüter der Menschen nicht ausbleiben“, schrieb sie, fügte aber hinzu, dass manche Fernsehstationen dies erkannt und bald auf normales Programm umgeschaltet hatten.
Auch in der westlichen Welt waren die Dauer- und Spezialsendungen der ersten Tage zwar bald wieder aus dem Programm verschwunden. Was blieb, war die hysterische Panikmache, mit der viele Medien über die Geschehnisse und vor allem die Atomkatastrophe berichteten. Verstärkt wurde das durch zwei Entwicklungen: Erstens gab es kaum Fernsehbilder aus der Gegend rund um das AKW und wenig Information von offizieller Seite über den Grad an frei gewordener Radioaktivität. Wer nichts sieht, spekuliert mehr. Zweitens kam der Nachrichtendienst Twitter zum zweiten Mal nach dem Erdbeben von Haiti 2010 und erstmals in richtig großer Breite zum Einsatz, wodurch sehr viel ungesicherte Information im Netz zirkulierte. Nach der Flut in Japan überrollte eine zweite, mediale Flut die ganze Welt.
Während japanische Medien (zum Teil staatlich befohlen) die Bevölkerung nicht unnötig in Panik versetzen wollten, berichteten gerade die Atomländer Frankreich und USA in dramatischem Ton. Auch in deutschen und österreichischen Medien war tagelang vom Super-GAU zu hören und zu lesen. Umso erstaunlicher, dass die Katastrophe nur wenige Wochen später kaum mehr Thema war.
Literatur reagierte rasend schnell
Weniger hysterisch, aber dafür unvorstellbar schnell reagierte die Literatur auf Fukushima. Auch wenn es nicht die berühmten Namen wie Japans Literaturnobelpreisträger Kenzaburô Ôe oder Banana Yoshimoto waren, die sich zu Wort meldeten, sondern weniger bekannte Autoren oder Blogger. Zwei Monate nach der Katastrophe erschien auf Deutsch der schmale Band „Fukushima mon amour“ des früheren AKW-Mitarbeiters Daniel de Roulet. Ein 40-seitiger „Brief an eine japanische Freundin“, verfasst eine Woche nach dem 11. März 2011. Das war kein großer literarischer Wurf, wirkte eher wie frischer Stoff für katastrophensüchtige Leser. Der Autor reflektiert aber, ganz ohne Hysterie, über das Geschehene, während er schildert wie er sich den ständig aktualisierten Bildern aus Fernsehen und Internet zu entziehen versucht.
Die ersten Sachbücher zur Atomkatastrophe erschienen im Juli 2011 und seither sind es so viele, dass man wieder das Wort „Flut“ bemühen könnte. Am schnellsten auf dem Markt war das E-Book „2:46 Aftershocks“. Ein in Japan lebender britischer Blogger rief noch am Abend des 11. März auf Twitter Bürger dazu auf, Texte an ihn zu schicken. Im Lauf einer Woche stellte er ein digitales Buch zusammen, spendete die Erlöse dem japanischen Roten Kreuz. Neben vielen in Japan lebenden Migranten lieferte sogar die berühmte Yoko Ono einen Beitrag. Literatur ist das wohl keine, eher eine schnelle Reflexion über das Geschehene, bei der aber auch die Fehler der Fukushima-Berichterstattung analysiert werden. Florian aus Osaka etwa schrieb: „Körperlich bin ich vom Erdbeben verschont. Doch mein Blick auf Medien hat sich für immer verändert.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2012)