Der Vizekanzler warnt vor einer "Ablenkung" im U-Ausschuss von den Kursmanipulationen bei der Telekom. Die Vorwürfe gegen VP-Amon solle man gesondert behandeln.
Die Presse am Sonntag: Heute vor einem Jahr erlitt Josef Pröll eine Lungenembolie. Einen Monat später übernahmen Sie den Parteivorsitz. Derzeit liegt die ÖVP in Umfragen auf Platz drei. Sie haben mit schweren Korruptionsvorwürfen gegen Ihre Partei zu kämpfen. Haben Sie sich das so vorgestellt?
Michael Spindelegger: Wir waren damals in den Umfragen auf dem dritten Platz. Elf Monate bin ich jetzt im Amt, dazwischen sind wir wieder hinaufgestiegen. In den vergangenen Wochen sind wir in den Umfragen wieder zurückgegangen – wegen der Korruptionsvorwürfe im Untersuchungsausschuss. Umfragen bestimmen nicht mein Dasein, sondern die Sachpolitik. In elf Monaten haben mein Team und ich in bemerkenswerter Form die SPÖ dazu gebracht, dass wir ein Reformpaket auf die Beine stellen für die nächsten fünf Jahre.
Bemerkenswert? Sie haben manche Ziele nicht erreicht, etwa höhere Belastungen für Besserverdiener zu verhindern. Sie mussten nachgeben.
Wir haben ein Volumen von 27 Milliarden Euro in unserem Reformpaket, davon drei Viertel Ausgaben, ein Viertel Einnahmen. Das ist eine Bilanz, die sich sehen lassen kann, auch wenn ich mich mit meinen Vorgängern und Kollegen in anderen EU-Ländern vergleiche. Ich hätte mir mehr vorstellen können, hätte ich allein zu bestimmen gehabt. Dennoch: Der Kompromiss kann sich im Vergleich zu anderen sehen lassen.
Sie selbst haben versprochen: Es gibt keine neue Steuern. Die gibt es aber.
Ich habe versprochen, dass ich mich sehr dafür einsetze, dass wir das ausgabenseitig machen und nicht über Steuern. Das hat mein Koalitionspartner anders gesehen. Die Diskussion war Sparen gegen neue Steuern. Versprochen, dass es niemals Steuern geben wird, habe ich nicht. Dafür bin ich damals auch kritisiert worden.
Die Korruptionsvorwürfe betreffen einerseits das System, in dem sich Parteien, auch die ÖVP, von Unternehmen wie der Telekom Geld haben geben lassen. Andererseits ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Fraktionschef Ihrer Partei im Untersuchungsausschuss, der jene Zahlungen untersuchen soll. Warum tritt Werner Amon nicht zurück? Er ist schlicht unhaltbar.
Der Untersuchungsausschuss ist kein Gerichtsverfahren, das ist eine politische Bühne: Was da herauskommt, muss nicht die Wahrheit sein. Es muss aufgeklärt werden. Auch Werner Amon muss klarlegen, wofür die 10.000 Euro bezahlt wurden.
Aber das kann er offenbar nicht.
Moment! Was im U-Ausschuss bisher aufgekommen ist, lässt eine Schlussfolgerung zu: dass man ein Unternehmen, das im Naheverhältnis zum Bund steht, nicht als einen Selbstbedienungsladen verwenden darf. Herr Amon muss aber auch das Recht haben, sich zu verteidigen.
Noch einmal: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Herrn Amon, er sitzt für Sie im Ausschuss, der das – die politische Verantwortung – aufklären soll?
Wie wird man Beschuldigter und Betroffener der Staatsanwaltschaft? Entweder, weil Fakten auftauchen, die man aufzuklären hat, oder weil es eine anonyme Anzeige gibt. Wenn jede solche Anzeige automatisch zu einem Rücktritt führt, wäre das ein Problem.
Amon ist ein Sonderfall: Er soll die politische Verantwortung für etwas klären, wofür er strafrechtlich verantwortlich sein könnte, was er abstreitet. Wie soll das gehen?
Es gibt ein Verfahren vor den Gerichten, das unabhängig und mit Rechten für die Betroffenen abläuft. Diese Verquickung in einem U-Ausschuss, der nur die politische Verantwortung zu klären hätte, sehe ich nicht. Man muss Betroffenen die Möglichkeit geben, sich zu wehren. Ich mache mir da keine Illusionen: Jeder sagt, die Politik sei korrupt. Das ist ein entsetzliches Bild, das die Politik da abgibt. Daher müssen wir die Lehren ziehen und einen Kulturwandel einleiten. Aber viele Politiker – ich würde sagen 99 Prozent – haben sich sicher nichts zuschulden kommen lassen.
Es wäre vielleicht sinnvoll, dass sich Amon während der Zeit der Ermittlungen gegen ihn vom U-Ausschuss karenzieren lässt.
Diese Möglichkeit gibt es leider nicht. Wenn man in diesem öffentlichen Prozess ist, wäre es außerdem eine Art Schuldeingeständnis, nun zu gehen. Es ist richtig, dass er seine Arbeit fortsetzt, die bisher tadellos war, und versucht aufzuklären, was aufzuklären ist.
Finden Sie die Arbeit der Staatsanwaltschaft gut oder schlecht?
Ich glaube nicht, dass man das so pauschal beurteilen kann.
Dann sage ich der Wiener Staatsanwaltschaft?
Ich kenne niemanden persönlich, weder den Leiter noch den Stellvertreter. Manches wird gut sein, manches weniger, wie in jeder Behörde. Aber auch eine Staatsanwaltschaft ist nicht davor gefeit, sachlich kritisiert zu werden.
Werner Amon sieht das ganz anders, er mutmaßt eine Kampusch-Verschwörung?
Er ist ein frei gewählter Abgeordneter und kann frei reden. Ich kenne den Fall Kampusch nicht. Ich mische mich da auch nicht ein.
Werner Amon vermutet in den Ermittlungen ein Revanchefoul der Wiener Staatsanwälte wegen seines Zweifels im Fall Kampusch. Sie auch?
Über den Fall Kampusch weiß ich nichts, und ich werde mich dazu auch sicher nicht äußern. Wenn ich mir die Berichterstattung ansehe, so fällt mir auf, dass just an jenem Tag, an dem einer der größten Wirtschaftskrimis behandelt werden sollte, nämlich die Kursmanipulationen bei der Telekom, ein Inseratengeschäft der Telekom mit Herrn Amon auftauchte. Diese Geschichte schlug ein wie eine Bombe. Kein Mensch sprach mehr über den eigentlichen Untersuchungsgegenstand. Da ging es immerhin um acht Millionen Euro Provisionen für das Management. Ein genialer Schachzug von PR-Strategen? Mein Pressesprecher ist jedenfalls beeindruckt. Vielleicht taucht bei nächster Gelegenheit wieder ein Zettel auf, wonach Hochegger die roten Prada-Schuhe des Papstes bezahlte. So etwas würde sicher erneut für Aufregung sorgen. Aber im Ernst: Diese Schlampereien gehören abgestellt, einer Ablenkung vom eigentlichen Thema sollte man nicht auf den Leim gehen, sondern gesondert behandeln.
Meinen Sie damit, dass die Staatsanwälte im Auftrag der Telekom ermitteln?
Nein, das habe ich auch nicht gesagt. Aber der Zeitpunkt der Bekanntmachung ist bemerkenswert.
Dass die Telekom etwa in der ÖAAB-Zeitung Inserate schaltet, obwohl deren Werbewirksamkeit fragwürdig ist, muss Ihnen doch auffallen?
Wenn die Telekom in der „Presse“ schaltet oder in einer anderen Zeitung, wird sie sich die Frage stellen: Steht der Preis für das Inserat mit der Werbewirksamkeit für Telekom in völligem Einklang? Mit der ÖAAB-Zeitung bekommt er einen Leserkreis von 250.000.
Die das nicht lesen.
Glauben Sie, dass „Presse“-Leser alle Telekom-Inserate lesen?
Sicher eher als die in der ÖAAB-Zeitung, das schätzen zumindest die Experten in den Mediaagenturen.
Das Inserieren muss dem überlassen sein, der das in Auftrag gibt.
Am Donnerstagabend bestätigte die Chefin einer Werbeagentur unter Wahrheitspflicht, dass über Peter Hocheggers Valora ein ÖVP-Wahlkampf finanziert wurde. Da gibt es nicht viel daran zu rütteln. Außer zu garantieren, das abzustellen.
Es ist undenkbar, dass das in Zukunft passiert. Das muss verhindert werden. Es darf keine derartigen Verflechtungen mehr geben. Daher: Ein privates Unternehmen ist ein privates Unternehmen. Wäre das die Telekom gewesen, wäre das nicht passiert. Eine vollständige Privatisierung ist die einzig gangbare Möglichkeit.
Das werden Sie vermutlich nicht durchsetzen und dann wieder sagen, mit der SPÖ sei eben nur ein Kompromiss möglich.
Was ich mir vornehme als ÖVP, kann ich nicht allein durchsetzen. Stete Tropfen höhlen den Stein. Wer hätte sich vor Kurzem gedacht, dass die SPÖ für einen ausgeglichenen Haushalt steht oder plötzlich proeuropäisch argumentiert. Das könnte bald auch bei Privatisierungen der Fall sein.
Ist die SPÖ nach der Nationalratswahl der erste logische Partner?
Das werden wir nach der Nationalratswahl entscheiden.
Es gibt das Gerücht, Werner Faymann hätte Ihnen eine Art gegenseitigen Treueschwur angeboten und Sie hätten – im Gegensatz zu Josef Pröll – eingeschlagen?
So ein Unsinn. Ich wurde nicht gefragt. Ich würde auch gar nichts davon halten, vor der Wahl dem Wähler schon die Stimme abzunehmen. Das muss in der Demokratie offenbleiben.
Aber interessanterweise lesen sich Teile in dem Konsolidierungspaket genau so: Das sind budgetär langfristige Pläne – gemeinsam mit der SPÖ.
Budgetplanung muss immer langfristig sein. Was hat das mit Koalitionen zu tun?
Sie brauchen einen Partner. Die FPÖ würde etwa vor einer Koalition sagen: Das ist nicht unser Paket, dem können wir nicht zustimmen.
Darum ist es ein gutes Argument, dass die Volkspartei in der Regierung bleibt.
Sie bräuchten für die Umsetzung des Pakets aber eben auch die SPÖ.
Jede Regierung kann Schwerpunkte neu legen, wenn sie die Mehrheit hat. Ich habe immer gefordert, eine Schuldenbremse mit einer Zweidrittelmehrheit durchzusetzen, aber es war keine Oppositionspartei dazu bereit.
Noch einmal: Die FPÖ würde nicht zustimmen, Ihnen bleibt nur die SPÖ.
Jeder Politiker ist froh, wenn die Sparmaßnahmen schon beschlossen und gesetzt sind.
Bald Jahrestag
Seit 21. April 2011
ist Michael Spindelegger Vizekanzler, seit Mai 2011 gewählter ÖVP-Obmann.
Turbulente erste Monate 2012
Kaum ist das Sparpaket fertig, kämpft die ÖVP gegen Korruptionsvorwürfe.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2012)