Die vielen Stimmenthaltungen deuten es an: Gauck wird kein bequemer Präsident. Gut so.
Joachim Gauck kann mit diesem Ergebnis zufrieden sein. Eine große Zustimmung der Bundesversammlung war ihm schon vor der Wahl zum Präsidenten sicher. Aber dass sich doch 108 Delegierte von SPD und Grünen nicht der Parteiräson beugten und der Stimme enthielten, ist lebendige Demokratie – ganz im Sinn des Freiheitskämpfers, der die offene Debatte dem verlogenen Konsens vorzieht.
Was ein deutscher Präsident sagt und tut, bleibt spannend. Nicht mehr, weil sich einer der Korruption verdächtig macht, wie es bei Wulff der Fall war. Sondern weil jetzt ein streitbarer Geist keiner Mehrheit in Politik und Volk nach dem Mund redet. Interessant, dass die Deutschen genau das von ihrem formal machtlosen Staatsoberhaupt erwarten: keine weich gespülten Reden, die es allen recht machen wollen, sondern richtungsweisende, unbequeme Denkanstöße.
Mit Wulff musste man kein Mitleid haben, mit den Deutschen, die unter dem Vertrauensverlust ihres höchsten Amtsträgers litten, sehr wohl. Nun kann man ihnen gratulieren: Diesen neuen Präsidenten haben sie sich redlich verdient.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2012)