Charles Wyplosz: „Sarkozy hat keine Chance“

(c) Privat
  • Drucken

Der französische Ökonom und Publizist Charles Wyplosz zieht negative Bilanz über Sarkozys erste Amtszeit und ahnt ökonomisch Böses für die Zukunft.

Die Presse: Professor Wyplosz, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy kämpft um die zweite Amtszeit. Wie ist die Bilanz seiner Präsidentschaft?

Charles Wyplosz: Obwohl Sarkozy mehr Reformen anpackte als alle Vorgänger, ist die Bilanz durchwachsen. Seine Vorgänger haben sich aber wie „Nichtstuerkönige“ darauf beschränkt, zu präsidieren. Sarkozy hatte sich viel vorgenommen und einen Bruch angekündigt. Dazu kam es aber nicht. Mit Ausnahme vielleicht der Hochschulreform blieb es bei Halbheiten. Er versprach radikale Änderungen, sagte, Frankreichs Sozialmodell sei bankrott – was stimmt –, und dass man sich nicht nur auf Randkorrekturen beschränken könne, aber er erbrachte enttäuschende Reformen. Und ich gehöre zu jenen, die sehr enttäuscht sind von Sarkozy.


Wer ist schuld? Der Präsident oder das Land und die Franzosen?

Sarkozy kannte Frankreich, er wusste, worauf er sich einließ. Aber er ist halt ein Mann, der sich nicht um Details kümmert. Er hat seine Reformvorhaben mit viel Klamauk gestartet und sich nachher nicht wirklich für die Umsetzung interessiert. Ich würde auch von einer gewissen Oberflächlichkeit reden. Für Sarkozy ist die Aktion an sich wichtiger als der Inhalt und die Wirkung.

Eine Effekthascherei?

Ja. Nehmen wir die Pensionsreform. Er hat eine umfassende Reform angekündigt. Es wurde aber eine Minireform. Der Form halber stieg das Pensionsalter von 60 auf 62. Das wird aber von so vielen Ausnahmen durchlöchert, dass nicht viel übrig bleibt. Dabei wäre es einfacher gewesen, wie in anderen Ländern, in denen das Pensionsalter meist bei 65 oder 67 Jahren liegt, eine große Reform zu planen. Frankreich ist nun mit Ach und Krach bei 62 angelangt. Sarkozy beließ es dabei, weil er auf Widerstand stieß. Das wusste er aber im Voraus. Er gab nach. Nur der Form willen hielt er an einer Reform fest, damit er sagen konnte, er habe seine Versprechen gehalten. Aber vom Inhalt blieb wenig.

Dennoch will er eine zweite Amtszeit. Was ist dabei seine beste Karte, die er ausspielen kann?

Er hat alles Interesse, die Situation zu dramatisieren, um zu erklären, dass es jemanden mit Erfahrung braucht. Bei der Ankündigung seiner Kandidatur hat er sich darum mit einem Kapitän verglichen, der in Sturmzeiten seinen Posten nicht verlassen dürfe.

Und wie stehen dabei seine Chancen?

Ich glaube, er hat keine Aussicht, wiedergewählt zu werden – vor allem, weil im Kontext wachsender Arbeitslosigkeit kein Staatschef bestätigt wird. In Frankreich wird die Zahl der Arbeitslosen bis zu den Wahlen weiter wachsen. In einer solchen Lage sind die Leute verängstigt oder wütend oder beides.

Die Angst könnte aber ein Motiv sein, lieber einen Präsidenten zu behalten, der zwar nicht sehr beliebt ist, aber wenigstens weiß man, was man hat?

Nein, denn Sarkozy kann nicht sagen, die Arbeitslosigkeit sei die Schuld der anderen. Er kann auch nicht erklären, warum er nicht mehr tat. Auch wenn er jetzt mit dem deutschen Vorbild hausiert, kommt das reichlich spät. Nein, ich glaube, wenn es in Frankreich der Wirtschaft schlecht geht, ist der Präsident dafür verantwortlich. Er hätte anders vorgehen können. Das wird ihm von den Wählern nicht verziehen. Hinzu kommt eine echte Antipathie, die gegen ihn in der Bevölkerung existiert. Mit seinem „Bling Bling“-Stil zu Beginn seiner Präsidentschaft hat er einen schweren Fehler begangen. Das wird ihm nicht vergeben. Aber wenn die Wirtschaft gesund wäre, hätte er Chancen.

Spielte Sarkozy dafür nicht zusammen mit Angela Merkel eine positive Rolle in der Eurokrise?

Zur Schuldenkrise in Europa wäre es nie gekommen, hätte man von Beginn an interveniert. Es gab stattdessen eine Häufung wirtschaftspolitischer Fehler. Das Duo Merkel-Sarkozy war federführend, aber an sich war es Merkel, die ihre irrigen Positionen durchsetzte. Auch in der Hinsicht kann Sarkozy nicht sagen: ,Schaut, was für tolle Arbeit ich geleistet habe!‘ In dem Duo ist Sarkozy nicht Kapitän, sondern eher Matrose, der sich für die Fotos neben Kapitän Merkel stellt.

Ist Frankreich noch eine europäische Großmacht?

Frankreich ist immer noch die zweite Volkswirtschaft Europas. Und Deutschland kann nicht allein handeln, es braucht Frankreich an seiner Seite. Aber auch hier ist es eine Frage des Bildes: Sarkozy ist an der Seite von Merkel bei der Konferenz, aber die angekündigten Maßnahmen sind die deutschen.

Der Sozialist François Hollande hat jetzt die besten Chancen aufs Präsidentenamt. Ist er ein Hindernis für die deutsch-französische Partnerschaft?

Merkel ist besorgt über die Positionen Hollandes, der etwa sagte, er wolle den EU-Fiskalpakt neu verhandeln. Das war ein Irrtum, weil er erstens gar nichts neu verhandeln wird, und zweitens verstimmte er Merkel damit. Sie revanchierte sich, indem sie Sarkozy im Wahlkampf unterstützt. Das ist absurd! Wenn Hollande Präsident ist, wird er sich dennoch mit der Kanzlerin zusammensetzen und mit ihr arbeiten, als sei nichts gewesen.

Offenbar will Hollande die Schuldenbremse, wie sie 25 EU-Staaten beschlossen, nicht akzeptieren.

Er begreift den Ernst der Lage nicht, meint wohl, er komme zur Macht und könne weiter Defizite machen wie die Vorgänger. Er muss verstehen, dass es unmöglich ist. Er wird so etwa in der Situation sein wie Papandreou in Griechenland, der sich auch nicht vorgestellt hatte, so eine Krise bewältigen zu müssen. Frankreich könnte in diese Lage kommen, falls Hollande weiter Schulden macht. Das letzte Budget mit Überschuss war, glaub ich, 1973! Es braucht 30 Jahre mit ausgeglichenen Budgets, um die Schulden abzubauen.

Unter Sarkozy wurde meist versucht, die Steuereinnahmen zu erhöhen, aber das Problem Staatsausgaben wurde kaum angepackt. Sind die tabu?

Das ist der springende Punkt. Keiner der Kandidaten hat wirklich verstanden, was Budgetdisziplin heißt. Man senkt nicht das Defizit, indem man die Steuern erhöht, die bereits 50 Prozent des BIPs ausmachen. Die Wirkung ist kurzfristig, sobald man die Einnahmen erhöht, wächst sofort der Druck, mehr auszugeben. Hoffentlich erweist sich der nächste Präsident rasch als lernfähig.

Zur Person

Charles Wyplosz (*1947) studierte Ökonomie in Harvard (USA) und Paris, war bei diversen Universitäten und wirtschaftlichen Thinktanks sowie beim IWF tätig und ist seit Jahren Professor für internationale Währungs- und Wirtschaftsfragen an der Universität Genf in der Schweiz. Er wird von Regierungen und Institutionen zu Rate gezogen und hat sich in vielen Publikationen sehr kritisch mit der Krisenpolitik der EU auseinandergesetzt.

Im Nebenerwerb ist Wyplosz Weinbauer: In Taulignan im unteren Rhonetal in Südfrankreich betreibt er mit Freunden und seiner Frau das Weingut Domaine Gris de Bauries (www.gris-des-bauries.com). [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.03.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Jet-Set-Fan oder Hobbybauer

Wer zieht in den Élysée-Palast?

Jet-Set-Fan oder Hobbybauer

Wer zieht in den Élysée-Palast?

Bericht Untersuchungsrichter nimmt Sarkozy
Außenpolitik

Bericht: Untersuchungsrichter nimmt Sarkozy ins Visier

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy soll seinen Wahlkampf 2007 über illegale Parteispenden finanziert haben. Der Staatsmann soll bei der "L'Oréal"-Milliardärin Liliane Bettencourt um Geld gebeten haben.
Weltjournal

Sarkozy profitiert vom Terror

Präsident stieg nach den Anschlägen in der Wählergunst.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.